Der Furor kannte kaum Grenzen. Im März 1998 konnte man in einem meiner Artikel über die Düsseldorfer ProWein-Messe lesen: „Der Weinkenner fragt sich mit Grausen, warum deutsche Winzer anfangen, Chardonnay und Cabernet Sauvignon anzubauen.“ Und im April 2002 durfte ich in einer überregionalen Tageszeitung mein aus elf Ge- und Verboten bestehendes „Weinmanifest“ veröffentlichen. Unter 2.) heißt es dort: „Kauft keinen deutschen Chardonnay, Merlot oder Cabernet Sauvignon! Sie werden seit einigen Jahren hierzulande verstärkt angebaut, um auf den Modetrend hin zu „internationalen Rebsorten“ aufzuspringen. Sie haben hier nichts verloren und schmecken – von wenigen, aber dann sündhaft teuren Ausnahmen abgesehen – recht enttäuschend“.
Ohnehin bin ich seit vielen Jahren Ehrenmitglied des ABC (anything but Chardonnay)-Klubs, da mir der mumpfige, aufgeblasene, holzige Überseeschrott aus dieser Rebsorte gewaltig auf den Zeiger geht, und ich bis vor einiger Zeit bestenfalls an stahligen, klaren Chablis-Weinen Gefallen fand, die es zudem immer seltener gibt.
Und jetzt sitze ich hier mit einem Chardonnay des Pfälzer Weinguts Markus Schneider und kann mich vor Verzückung kaum noch einkriegen. Kennen gelernt habe ich den Bubeneck 2011 als perfekten Begleiter zu großartigem Sushi in der VOX-Bar im Hotel Grand Hyatt am Potsdamer Platz in Berlin. Ein Nachtrunk erschien mir dringend angeraten.
Die Einzellage Bubeneck scheint wie geschaffen für Chardonnay: Steinig – karger Boden, Terrassenschotter und Geröll. Hier müssen die Reben so richtig “leiden”. Im Weinberg und im Keller lässt Schneider nichts anbrennen: Hochreifes, gesundes Lesegut mit 98° Oechsle wurde 2011 geerntet, natürlich von Hand. Nach zehn Stunden Maischestandzeit folgten Vergärung und Lagerung in Halbstückfässern aus französischer und Pfälzer Eiche. Klingt nach abartig viel Holz im Mund, ist aber ganz anders. Der intensiven Nase mit gelben Früchten, Wiesenblumen und leichter Toastnote folgt ein mächtiger und dennoch eleganter Eindruck am Gaumen. Papaya und Maracuja halten das Holz in Schach, der mineralische Eindruck wird von einer feinen Salznote gekrönt, wie ich sie bisher nur von gutem Petit Arvine kannte. Die Bräsigkeit, mit der so manch vollreifer Chardonnay daherkommt mag bei knackigen, gut verwobenen sieben Promille Säure erst gar nicht aufkommen. Und dass der Bubeneck trotz der intensiven Fruchtaromen und dem damit verbundenen Eindruck von Süße in keiner Sekunde zuckrig wirkt, ist wohl dem dezenten Restzuckergehalt von 2,9 Gramm pro Liter geschuldet. Auch die 13,6 Prozent Alkohol sind alles andere als das Ergebnis unangemessenen Dopings, welches viele Rebsortenkollegen aus dem Land des enttarnten Sportbetrügers Lance Armstrong erdulden mussten.
Dass dieser Wein zu Sushi passt, liegt auf der Hand. Irgendwie muss man das Salz, die Schärfe und schwierige Partner wie eingelegten Ingwer ja schließlich abpuffern. Der Bubeneck macht dies mit einem selbstbewussten Grinsen und freut sich sichtlich über einen angemessenen Sparringspartner.
Zeit für den Nachtrunk. Sushi geht nicht; wer mal im VOX oder vergleichbaren Etablissements den japanischen Edel-Snack von einem hauseigenen „Sushi-Meister“ frisch zubereitet auf den Teller bekommen hat, wird um Fastfood-Sushi aus Supermärkten oder in Billig-Imbissen einen ganz großen Bogen machen. Auch die Eigenbereitung stößt an Grenzen,denn wo soll ich bitte einen derartig großartigen Thunfisch herbekommen? Also wieder die beliebten, in Koriander, Chili und Knoblauch marinierten Großgarnelen kurz durch den heißen Wok geschwenkt. Klappt erwartungsgemäß mit dem Schneider-Chardonnay genauso gut. Und natürlich kann man ihn auch einfach „nur so“ trinken. Ein heftiges Maul voll Wein ohne Fett, vielleicht noch ein wenig ungestüm, aber schon jetzt strahlend und funkelnd. Bleiben die Lust auf immer mehr von diesem Stoff und die Erkenntnis, dass Chardonnay in Deutschland anscheinend doch geht.
Den Chardonnay Bubeneck 2011 von Markus Schneider gibt es in einigen Fachgeschäften sowie für 14,90 Euro beim Kölner Weinkeller und ist sein Geld allemal wert.
Den CHardonnay von Schneider kenne ich (noch) nicht. Seine anderen “Exoten” (Sauignon Blanc u. Cabernet Sauvignon) finde ich jedoch enttäuschend. Ohnehin spricht nach wie vor viel dafür, dass sich die deutschen Winzer auf regionaltypische Sorten konzentrieren. Cabernet, Sauvignons, Merlot u Chardonnay findet man überall, aber was ist mit Riesling, Silvaner, den Burgundersorten oder Lemberger?