Kaum nähert sich der Kalender dem Weihnachtsfest, scheint es in der Politik und in den Medien nur noch mitfühlende, gar empathische Menschen zu geben. Rund um die Uhr wird betroffen und mahnend von der „wachsenden Armut“ und „großen Kluft in der Gesellschaft“ gesäuselt. In den großen bürgerlichen Leitmedien dürfen sich die verkannten Sozialreporter austoben, und auch der hinterletzte Parteifuzzi fühlt sich derzeit bemüßigt, etwas von „notwendigen Konsequenzen“ aus den derzeit fast im Tagestakt veröffentlichten Armutsstatistiken zu faseln. Natürlich nicht ohne zu erwähnen, dass man dafür seiner Truppe bei den kommenden Wahlen die Stimme geben müsse. Kurzum: Es ist ekelhaft.
Schlechte Laune machen mir weder die wachsende Armut noch die Heuchelei der Politiker und Meinungsmacher. Mich ärgern eher das kollektive Unvermögen der Marginalisierten, sich gegen die herrschenden Zustände aufzulehnen und meine arg limitierten Möglichkeiten, derartige Prozesse voranzubringen. Schlechte Laune macht mir ferner eine zunehmend aggressiver auftretende Mittelschicht, die sich aus lauter Angst vor dem eigenem Abstieg nur noch um die eigenen kleinen Pfründe und Nischen kümmert. Sie rottet sich zusammen, um „ihre“ Grundschulen gegen Kinder aus „bildungsfernen Schichten“ abzuschotten. Sie schließt sich in klandestinen Genossenschaften zusammen, um sich – mit öffentlicher Unterstützung – dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wer nicht genug Eigenkapital mitbringt, muss aber leider draußen bleiben. Sie nistet sich in begehrten Altstadtgebieten in „Stadtteilvertretungen“ und „Kiezbeiräten“ ein, „kämpft“ unermüdlich für ein paar Fahrradstreifen, verkehrsberuhigte Zonen und Grünflächen, erklärt sich aber für die Verdrängung Einkommensschwacher aus diesen Vierteln für nicht zuständig. Sie zelebriert ihren verlogenen Öko-, Fairtrade-, Kultur- und Genuss-Lebensstil, benimmt sich dabei hochgradig asozial und behauptet noch dreist, das alles sei irgendwie nachhaltig.
Ich gehöre nicht dazu, aber ich lasse mir von diesem Gesindel meine Freude an guten Lebens-und Genussmitteln, an Musik und Literatur nicht schmälern. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich mir zum Jahresende im Rahmen meiner Möglichkeiten mal was gönne. Die dafür von mir aufgewendete Kohle stammt auch nicht aus dicken Erbschaften oder Kapitalerträgen, sondern aus den bescheidenen Einkünften meiner Arbeit. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich jetzt wieder mal Austern kaufe, ziemlich edle Weine zur Wildschweinkeule auftische, eine feine Käseplatte zusammenstelle und mich an meiner exquisiten Sammlung spätbarocker Meisterwerke in hervorragenden Einspielungen erfreue. Ich habe eine warme Wohnung und beziehe auch Strom. Viele andere haben das nicht, und es werden immer mehr. Also doch schlechtes Gewissen? Keinesfalls!
Das Jahr nähert sich dem Ende. Ich hoffe, 2013 weht den Bankern, ihren Politikern und dieser riesigen Korona von satten, feisten Dumpfbacken ein schärferer Wind ins Gesicht. Es gibt für die menschenwürdige Binnenentwicklung dieser Gesellschaft nur ein vernünftiges, zukunftsfähiges Programm. Und das beinhaltet 1.) Umverteilung, 2.) Umverteilung und 3.) Umverteilung. Damit sich immer mehr und perspektivisch alle hier lebenden Menschen eine angemessene Wohnung, gute, gesunde Lebensmittel, anständigen Wein und ab und zu mal ein Buch oder eine Konzertkarte leisten können. Und jetzt knacke ich mir ein paar Austern, brate anschließend ein frisches Zanderfilet aus Mecklenburg, trinke dazu eine trockene Rieslung Auslese vom Spitzenwinzer Steffens-Kess und gönne mir abschließend einen frisch gemahlenen Super-Espresso von einer kleinen Privatrösterei. Genuss ist bekanntlich auch eine Form der (mentalen) Notwehr.
Danke. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich ekele mich mit.