eat the poor

Preisfrage: Was hat dieses deutsche Fleischregal mit den weltweiten Hungerkrisen zu tun?
Quelle:wikipediacommons

Hoher Fleischkonsum gilt weltweit als Indikator für wachsenden Wohlstand. Demzufolge müsste es uns unheimlich gut gehen. Jeder Deutsche verbraucht mittlerweile durchschnittlich 90 Kilogramm Fleisch und Fleischprodukte pro Jahr. Verbraucht, nicht verzehrt, denn 30 Kilo landen in Schlachthöfen, beim Handel und in Haushalten auf dem Müll. Dies (und vieles mehr) ist dem  Fleischatlas 2013 zu entnehmen, der am Donnerstag in Berlin vom BUND und der Heinrich-Böll-Stiftung vorgestellt wurde.

Ausdruck steigenden Wohlstands ist das beileibe nicht. Vielmehr ist Fleisch in Deutschland so billig wie noch nie. Und da Geiz bekanntlich unheimlich geil ist, kaufen nicht nur Herr und Frau Hartz IV, sondern auch Familie Bürgerlich gerne antibiotikabelastete  Brathähnchen für 1,99 oder wässrige Schrott-Schnitzel für 2,22 pro Kilo abgepackt im Supermarkt.

Das kommt sowohl uns als auch unzähligen Menschen in den ärmeren Teilen der Welt teuer zu stehen. Wir zahlen die für die milliardenschweren EU-Subventionen der Fleischindustrie sowie für die Umwelt- und Gesundheitsschäden, die durch gigantische Großmastanlagen und ihre Produkte verursacht werden. Und vielen Dritte-Welt-Staaten wird durch unseren immensen Importbedarf an pflanzlichen Futtermitteln die eigene Ernährungsgrundlage geraubt. Weltweit werden mittlerweile ein Drittel der landwirtschaftlichen Flächen für den Futtermittelanbau genutzt. Viele Millionen Kleinbauern wurden in den vergangenen Jahren von ihrem Land verdrängt, um großflächigen Sojaanbau zu ermöglichen. Zudem führt die fortschreitende Rodung des Regenwaldes zwecks Futtermittelanbau in den betroffenen Regionen zu dramatischer Wasserknappheit. Über alle Produktionsstufen verteilt, werden für die Herstellung von einem Kilogramm Fleisch über 15.000 Liter Wasser verbraucht  Der exzessive Einsatz von Düngemitteln und Herbiziden beim Anbau von gentechnisch veränderter Soja in Monokulturen beschleunigt zudem die Verkarstung der Flächen und verseucht das Grundwasser.


Sojaanbau in Brasilien – damit es bei uns immer genug billiges Schrottfleisch gibt
Quelle: Tiago Fioreze/wikipedia

Ohnehin ist die fast ausschließliche Verwendung von Soja als Viehfutter eine angesichts der weltweiten Ernährungskrisen unfassbare Verschwendung von einweißreicher Nahrung. Für die Erzeugung von einer Kalorie Rinder-, Schweine- oder Geflügelfleisch sind 11 bis 17 Kalorien aus pflanzlichen Futtermitteln notwendig. Selbst der ebenfalls in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehende Anbau von Energiepflanzen trägt, was die Flächennutzung betrifft, in wesentlich geringerem Ausmaß als der Sojaanbau zur globalen Nahrungskrise bei.

Die Futtermittel landen zu großen Teilen in den reichen Industriestaaten und  aufstrebenden Schwellenländern.  Die EU ist nach China der weltweit größte Sojaimporteur. Ohne diese Einfuhren könnte die hoch subventionierte Fleischproduktion in Europa nicht in der bisherigen Größenordnung aufrechterhalten werden, da nicht einmal ansatzweise ausreichend Futtermittel angebaut werden könnten.

Doch der sehr profitable heimische Fleischwahn reicht den hiesigen Großproduzenten noch lange nicht. Unterstützt vom Bauernverband und der Bundesregierung wird exportiert, was das Zeug hält: 2011 führten deutsche Unternehmen 422.000 Tonnen Rind- 2,4 Millionen Tonnen Schweine- und 393.000 Tonnen Geflügelfleisch in über 100 Länder der Erde aus, nicht selten mit katastrophalen Folgen für die örtlichen Erzeuger. Zu den Exportschlagern gehören jene Tierteile, die der verwöhnte Deutsche links liegen lässt, wie Hühnerflügel oder Bauchlappen vom Rind oder Schwein. Alles natürlich enorm billig. Das reicht in vielen Ländern aus, um den heimischen Produzenten den Garaus zu machen.

Natürlich kann man jetzt wieder alles auf die bösen Konzerne und den bösen Kapitalismus schieben und die armen Konsumenten bejammern, die mit irreführender Werbung und mieser Propaganda hinterws Licht geführt werden. Stimmt ja auch alles. Doch  auch Verbraucher haben eine gewisse Verantwortung.  Jeder Mensch sollte materiell in die Lage versetzt werden, sich ausreichend und ausgewogen zu ernähren. Künstlich niedrig gehaltene Fleischpreise sind aber genauso wenig eine soziale Errungenschaft, wie Billigflüge nach Mallorca. Niemand muss Vegetarier werden. Doch art- und umweltgerecht sowie global gesehen sozialverträglich produziertes Fleisch kann ein hochwertiges Nahrungsmittel sein, dass auch seinen Preis haben muss.  Das würde bedeuten, weniger Fleisch, dafür aber besseres zu konsumieren. Was spricht dagegen?

Vielleicht sollte man auch für eine radikale, ökologisch-soziale Agrarwende auf die Straße gehen. Z.B. am 19. Januar, wenn in Berlin ein großes Bündnis aus Agrar-, Umwelt- und Verbraucherverbänden anlässlich der Fressmesse „Grüne Wochen“ zu einer Großdemonstration unter dem Motto „Wir haben es satt aufruft. Die Veranstalter hoffen auf mehrere zehntausend Teilnehmer.  Ich werde jedenfalls dabei sein.

 

 

 

Ein Gedanke zu “eat the poor

  1. “Niemand muss Vegetarier werden”. Das stimmt schon. Menschen zu etwas zwingen zu wollen ist immer falsch und nichts ist schlimmer als Missionare. Aber wenn mehr Leute ganz auf Fleisch verzichten, wäre eingen geholfen: der Umwelt, den Menschen, die an Unterernährung leiden, weil man das Getreide lieber zur Tiermast verwendet, dem Gesundheitssystem, den übergewichtigen Kindern, den Kreaturen, die durch Massentierhaltung gequält werden und nicht zuletzt dem eigenen Wohlbefinden. Empfehenswert in diesem Zusammenhang ist das Buch The China Study. Und das man bei all dem nicht auf Genuss verzichten muss, beweisen Restaurants wie das Kopps in Berlin oder das grandiose Vegan-Lokal Blossom in New York.