Wenn ein trotzkistischer Sesselfurzer zu Speis und Trank einlädt, ist immer höchste Vorsicht geboten. Auch hatte dieser zu lebenslänglichem Beamtensein verurteilte Bürokrat bereits des Öfteren für negative „Höhepunkte“ gesorgt. Mit Grausen erinnere ich mich sowohl an zähe Entenbrustfilet-Streifen auf einem Feldsalat, als auch an einen grauenvollen Pinot Noir aus Portugal.
Immerhin gab es außer einer im Großen und Ganzen verkehrsfähigen Käseplatte sogar ein passables Pilz-Risotto. Das wird allerdings noch ein Nachspiel haben. Der Trotzkist behauptet nämlich, das Gericht höchstpersönlich frisch zubereitet zu haben, konnte aber den Verdacht, dass es sich um ein relativ hochwertiges Fertigprodukt handelt, nicht ausräumen. Die Geschmackspolizei ist bereits informiert, Laboruntersuchungen wurden in die Wege geleitet. Beim Käse war zwar alles „voll bio“, aber ein esoterisch anmutender Schnittkäse namens „Engel-Odem“ schmeckte penetrant nach Seife. Und die Behauptung des Gastgebers, alles sei aus Deutschland, erwies sich ebenfalls als untauglicher Versuch, die eigene Schludrigkeit beim Einkauf zu überspielen: Ein Käse wurde eindeutig als Via Mala identifiziert, und der stammt bekanntlich aus Graubünden in der Schweiz.
Erstaunlicherweise wurde allerdings recht anständiger Wein auf den Tisch gestellt – mal abgesehen von einem Regent aus Brandenburg, der auch schnell im Ausguss entsorgt wurde. Vielleicht hat er ja doch was bei mir gelernt, war mein erster Gedanken beim Riechen und Nippen am Riesling Ockfener Bockstein 2007 vom Weingut Othegraven. Elogen auf diesen großartigen Tropfen spare ich mir jetzt, da er leider nicht mehr erhältlich ist und ich ohnehin den Besitzer des Weinguts, Günther Jauch, nicht ausstehen kann.
Für das Highlight des Abends sorgten aber weder der Trotzkist, noch meine Wenigkeit, obwohl ich immerhin mit dem hier bereits beschriebenen Chardonnay Bubeneck von Markus Schneider aufwarten konnte. Vielmehr stellte ein eher linksliberaler Journalistenkollege mit merkwürdigem Verhältnis zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr einen Valpolicella Superiore DOC 2008 R von der Azienda Agricola Marion in Marcellise (Venetien) auf den Tisch.
Nun ist Valpolicella angesichts des Schindluders, welches mit dieser Bezeichnung getrieben wird, nicht gerade ein überzeugendes Kaufargument. Doch hinter der tiefstapelnden Bezeichnung verbirgt sich ein waschechter Amarone, der aufgrund bestimmter weingesetzlicher Restriktionen und gewisser geschäftlicher Überlegungen des Produzenten zwar nicht so heißen darf, aber dem Ruf dieser Spezialität alle denkbare Ehre erweist.
Der gewaltige Duft nach warmem Beerenkompott und Rumtopf wirkt zunächst etwas erschlagend. Doch beim Trinken wird die Sache zunehmend feiner und differenzierter. Ein wenig Zimt am Gaumen erinnert an Weihnachtsgebäck, die zarte, fast prickelnde Säure sorgt dafür, dass der mächtige Körper nie übergewichtig wirkt. Sauerkirschen und reife Pflaumen werden mit einer Prise Vanille veredelt. Holz? Natürlich Holz, aber genauso, wie ich es mag: Keine aufdringlichen Röst- oder Toastnoten, kein Waldboden, kein Tabak. Dafür satte, süße Frucht und kräftige, aber gut gepufferte Tannine. Dicht und dick, aber dennoch leichtfüßig und verspielt Ein Wein für die einsame Insel, oder auch für kräftigen, leicht süßlichen Käse.
Natürlich sind derartige Weine nicht jedermanns Sache. Wie ein „echter“ Amarone wird dieser Valpolicella vor der Vergärung 40 Tage angetrocknet, um die Konzentration zu erhöhen. Der Ausbau erfolgt dann für 30 Monate in neuen und gebrauchten kleinen Eichenfässern.
Der Betrieb gibt sich ohnehin recht kompromisslos. Entgegen dem Trend in Valpolicella-Land wurde die Rebfläche des seit 1988 von der Familie betriebenen Weingutes nicht erweitert, sondern radikal auf die Spitzenlagen verkleinert, von 17 auf sechs Hektar, und die Jahresproduktion beträgt gerade einmal 25.000 bis 30.000 Flaschen. Die scheinen es aber in sich zu haben, auch wenn ich den „echten“ und entsprechend teureren Amarone noch nicht gekostet habe.
Den Valpolicella Superiore DOC 2008 R von der Azienda Agricola Marion in Marcellise gibt es für 25 Euro bei gerardo sowie in Berlin-Kreuzberg bei wein++ in der Pücklerstraße 30,
Hallo Herr Balcerowiak,
ein schöner Beitrag der zeigt auch am Gardasee kann man trinkbare Weine erzeugen, die Azienda Agricola Marion ist natürlich trotzdem ein Ausnahmebetrieb.
Bei mir steht ein Teroldego vom selben Betrieb im Regal, auch ein verkappter Amarone eben mit der falschen Rebsorte. Den könnte man bei Gelegenheit probieren. ;-)
herzliche Grüße
Ralph Martin