Auf den Weinrausch

Warum wird eigentlich um Wein so ein Aufhebens gemacht? Sicher, es gibt auch etliche Bücher, die sich mit Bier, Whisky oder Grappa beschäftigen, bei Wein hat das aber eine andere Dimension. Obwohl es sich auch dabei um ein Getränk handelt, welches nicht unbeträchtliche Mengen des gleichen schnell wirkenden Nervengiftes enthält, das nicht nur Rauschzustände auslöst, sondern – im Übermaß genossen – auch schwere gesundheitliche Schäden verursachen kann.

Das wird gerne ausgeblendet. Namen wie „Baden-Württemberg-Classics“ klingen ja eher nach einem Tennis-Turnier. Dabei handelt es sich hierbei um eine der härtesten Flatrate-Parties, die die Branche kennt. Bei der jährlich in mehreren deutschen Großstädten veranstalteten Weinpräsentation geben sich Tausende von Menschen für ein paar Euro einen ganzen Tag lang ununterbrochen die Kante. Wenn über Wein geschrieben wird, ist meistens von „verkosten“ die Rede, fast nie von trinken. Weintouren werden – ab einer bestimmten Preisklasse – gerne als „Studienreisen“ angepriesen, Werbe- und Verkaufsveranstaltungen gar als „Messen“.

Während auf medizinischen Ratgeberseiten intensiv vor den Folgen regelmäßigen Alkoholkonsums gewarnt wird,  klingt das in zahlreichen Werbe- und Genussportalen ganz anders. „Dass ein bis zwei Gläser Wein pro Tag nicht nur das Wohlbefinden erhöhen, sondern auch vor Krankheiten wie dem gefürchteten Herzinfarkt schützen können, ist nicht nur eine historische Wahrheit, sondern auch durch moderne wissenschaftliche Untersuchungen mehrfach belegt“ heißt es auf der Webseite des Deutschen Weininstituts.  Auch hätten zahlreiche Mediziner übereinstimmend festgestellt, dass mäßiger, aber regelmäßiger Weingenuss geeignet sei, das Leben zu verlängern. Eine andere Website verrät: „An Herz und Kreislauf bewirkt mäßiger Weingenuss eine vom Arzt oft angestrebte Erweiterung der Gefäße und somit bessere Durchblutungsverhältnisse.“ Vorsichtig dosiert werde Wein sogar bei der Infarktbehandlung eingesetzt.

Schluss mit dieser Bigotterie. Wein ist ein Rauschgetränk, und genau das macht auch einen Teil seiner Faszination und kulturellen Bedeutung aus.  Statt in Weinbesprechungen seitenlang  über „barocke Fülle“, „Geschmackssinfonien“ oder „animalische Noten, Tabak und Kakao“ zu faseln, könnte man doch einfach mal schreiben: „Der geht runter wie Sahne und makes me feel good“.

Der Wunsch nach Rausch durchzieht die ganze Menschheitsgeschichte. Rausch kann dem Erkenntnisgewinn dienen und hat eine spirituelle Dimension. Von allen gängigen Rauschgetränken hat Wein zweifellos die besten Voraussetzungen, weil er alle Sinne anspricht und fordert. Er kann betören und verstören, Rätsel aufgeben und Antworten bringen, sich öffnen und sich verschließen, Freude schenken und Leid lindern. Er vermittelt Tradition und erfindet sich dennoch immer wieder neu. In seiner unendlichen Vielfalt werden wir ihn niemals vollständig entschlüsseln, dennoch dürfen wir fragen: Muss man Wein eigentlich immer genießen? Oder darf man ihn auch einfach nur trinken?   

 

2 Gedanken zu “Auf den Weinrausch

  1. “Muss man Wein eigentlich immer genießen? Oder darf man ihn auch einfach nur trinken?”
    Ich habe Wein immer genossen, wenn ich ihn trank, ganz zwanglos – ohne dass ich musste.
    Habe Wein aber auch noch nie >verkostet< und käme nie auf die Idee, Wein in ein Behältnis zu spucken.

    Grüße
    Duderich

    • Es gibt zwei Gründe Wein in ein Behältnis zu spucken oder weg zu kippen: 1.) Er schmeckt nicht. 2.) Man hat vor, noch etliche andere Weine zu probieren.