Alles verprassen, jetzt!

Schon wieder so ein Tag, an dem man schon beim ersten Augenaufschlag weiß, dass er zu der eher doofen Sorte gehören wird. Draußen ist es trübe, die prüfende Stippvisite auf dem Balkon bestätigt alle Befürchtungen: nass und kalt. Beim Espressokochen erzählt irgend so ein CDU- oder FDP- Heini im Radio, wie toll er es findet, dass man jetzt den Steuerflüchtlingen auf die Spur kommen könne, und das man ganz viel in dieser Richtung unternehmen werde. Manchmal weiß ich nicht, wer mich mehr nervt: Die bigotten Verbrecher, die uns regieren oder die Idioten, die sich das alles gefallen lassen.

Erster Lichtblick des Tages ist – abgesehen vom Milchkaffee – ein Online-Blick auf mein Konto. Das Honorar für meinen Artikel über aktuelle Entwicklungen in den deutschen Niedriglohnsektoren ist da. Das “Neue Deutschland” zahlt zwar auch Niedrighonorare, aber  die wenigstens preußisch-sozialistisch-pünktlich.

Für die Gründung einer Scheinfirma in einem Steuerparadies  reicht die Kohle nicht. Also verprassen!

Das heißt rauf auf’s frühlingsfitte Fahrrad und raus aus Moabit, denn hier macht das keinen Spaß. Erst recht nicht, wenn man was für die Ohren, bzw. für die Seele braucht, denn so etwas gibt es hier nicht. Der Weg führt also zur nahen Kantstraße im bürgerlichen Westen der Stadt in die noch existente Filiale von Zweitausendeins . Schließlich ist eine „neue“ CD von Jimi Hendrix erschienen, die angeblich mehr als Leichenflederei sein soll.

Jimi Hendrix – manchmal Nahrung für die Seele

Auch ein neues Werk von Neil Young  mit seinen unverwüstlichen „Crazy Horse“ sowie eine Kollektion der besten Bluessängerin aller Zeiten, Billie Holiday , stehen auf dem Programm. Und dann kann man da natürlich auch noch ein bisschen stöbern. Das ist allerdings so was von out, und deswegen wird der Laden im kommenden Jahr auch zumachen. Internet kann die Pest sein!

Der Mensch lebt nicht vom Sound allein, und daher führt der Weg in das Nachbargeschäft. „Mitte Meer“  ist einer meiner Lieblingsläden in Berlin. Schmucklos, verrumpelt, aber mit einem sagenhaften Angebot an Fisch, Meeresfrüchten, Käse, Wein, Öl, u.v.a.m., alles aus Ländern rund um das Mittelmeer und ausgesprochen preiswert. Mit einem Kilo Miesmuscheln, einem Stück bösartig riechenden Rohmilch-Schimmelkäse, einer Flasche „Donzel reserva“ und ein paar abgefahrenen  Fischkonserven verlasse ich die gastliche Städte und steuere meinen grünen Pfeil um die Ecke zum Wochenmarkt am Ausgustplatz.

Der schmeckt genauso, wie er aussieht!

Hier riecht es nach Gentrifizierung und grünem Bürgertum  - aber es gibt auch ein riesiges Angebot an Obst, Gemüse und Käse  aus dem Umland, vieles davon „voll bio“.  Und wenn schon Niedrighonorar verprassen, dann richtig: Ich leiste mir – erstmalig in 2013- ein paar Ökotomaten, einen göttlich mundenden (man darf kosten) Ziegenhartkäse, ein paar Pilze,  aber KEINEN SPARGEL! Denn es ist, wie ich es befürchtet habe: Natürlich gibt es bereits frische Brandenburger Ware, allerdings für satte 30 Euro pro Kilo.

Man darf nicht verschweigen, dass dieser Markt auch seine Schattenseiten hat, vor allem in Form einiger Menschen, die sich dort rumtreiben. Solange hysterische Frauen nur ihre mit Namen wie „Eva-Samantha“ geschlagenen Kinder penetrant  belöffeln, soll mir das ja noch egal sein. Doch wenn mich eine dieser Damen – wohlgemerkt: auf einem Marktplatz – ankeift: „Müssen Sie hier rauchen, hier sind doch Kinder“, dann reicht es! Entsprechend fiel meine Replik aus: „Ja, ich muss hier rauchen. Am besten, sie ziehen in die Steueroase, wo sie und ihr Lebensabschnittspartner das Schwarzgeld geparkt haben, da ist bestimmt auch die Luft besser“.  Das hat sich gelohnt, denn ich habe seit Monaten kein so vollkommen entgeistertes Gesicht gesehen, wie das dieser militanten Nichtraucherin.

Mein Niedrighonorar war nunmehr komplett in den Wirtschaftskreislauf eingespeist worden, und zwar Gewinn bringend. Zuhause genieße ich einen fast zerbrechlich wirkenden Hendrix, der auf den 1969 aufgenommenen Session-Tracks dieser CD die Grenzen seiner bisherigen Tonsprache auslotet. Weiter kam er leider nicht, da er dummerweise wenig später vollgepumpt mit allerlei Drogen die Gitarre für immer an den Nagel hängte. Neil Young und seine rumpelnde Autisten-Band Crazy Horse leben noch und sind dermaßen redundant, dass es schon wieder als absolute Avantgarde durchgehen könnte. Werde ich, wenn das Wetter etwas besser ist, komplett zum Fenster putzen hören. Vom Käse gönne ich mir eine Mini-Kostprobe und weiß jetzt endgültig: Heute habe ich alles richtig gemacht.

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