Es ist wahrlich nichts Ungewöhnliches in der Musikgeschichte, dass sich Komponisten auf die Suche nach Formen begaben, die den Weltgeist – oder wenigstens das, was sie dafür hielten – in Musik ausdrückt. Man kann das auch einfach Suche nach Spiritualität in der Musik nennen. Bezugspunkte können dabei Gott (J.S.Bach), nordische Fabelwesen (Sibelius), germanische Heldensagen (Richard Wagner) oder sonst was sein. Letzterem ging es um eine Tonsprache, die für Menschen „das große Ganze“ erfahrbar macht und sie zum Bestandteil einer universellen Ordnung werden lässt.
Wagner ist auf diesem Weg ziemlich weit gekommen. Wie kaum ein Komponist vor ihm hat er die emotionale Wirkung bestimmter musikalischer Formen erkannt, extrahiert und mit potenzierter Wirkung neu zusammen gestellt.
Wer sich mit dem „Weltgeist“ einlässt, oder sich gar als dessen Werkzeug versteht, läuft Gefahr, einigermaßen verrückt zu werden. Auf Wagner trifft das mit Sicherheit zu. Er war ein soziopathischer Egomane, ein fanatischer Judenhasser, ein Gegner jeglicher herrschenden Ordnung und gleichzeitig Verfechter totalitärer Herrschaft. Sein germanophiler Rassenwahn und Hass auf andere Kulturen führte so weit, dass er den Kaiser nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 aufforderte, Paris komplett niederzubrennen.
Wagner starb 1887, seine Frau Cosima überlebt ihn um 43 Jahre. Dass sie, ihre Kinder und vor allem Schwiegertochter Winifried zu führenden Protagonisten der nationalsozialistischen Bewegung und frühen Unterstützern Hitlers wurden, ist dem Komponisten also nur bedingt anzulasten. Der Wagner-Clan sorgte auch weit über das Ende der Naziherrschaft hinaus dafür, dass das Bayreuther Festspielhaus als zutiefst reaktionärer „Wagner-Gral“ musealisiert und das Schaffen des Komponisten auf bombastische und letztlich grob verfälschende Inszenierung seiner esoterisch-wahnsinnigen Nibelungen-Schmonzetten reduziert wurden.
Natürlich sind die Libretti dieser Opern von Judenhass und Herrenmenschentum durchsetzt. Natürlich eignete sich dieser Stoff als Soundtrack für den Faschismus. Aber soll man Wagner deswegen nicht mehr spielen oder auch nur hören (dürfen)? Und kommen dann beinhart antisemitische sakrale Werke wie z.B. die Johannes-Passion von J.S.Bach gleich mit auf den Index?
Ich bin kein Freund der Oper. „Meinen“ Wagner habe ich über einen Umweg entdeckt. Ein anderer großer Verrückter der Musikgeschichte, der brillante Analyst und Pianist Glenn Gould, hat sich dem Kern der wagnerschen Musik wohl wie kaum jemand anders genähert und Klaviertranskriptionen der großen Ouvertüren geschrieben und eingespielt. (Hörproben gibt es hier). Da wird Wagner als Komponist sichtbar, der große, berührende Musik geschaffen hat, Meilensteine der deutschen und europäischen Kulturgeschichte, voller Schönheit und Klarheit.
Jeder hat das Recht, Wagners Musik furchtbar zu finden. Oder eben auch großartig. Doch er sollte dann wissen, warum. Mehr gibt es dazu für mich nicht zu sagen