Ein Sonnabend in der Touristenmetropole Kreuzberg kann durchaus ereignisreich sein. Am Vormittag harrten am Oranienplatz einige hundert Menschen der NPD, die zu einer Aktion gegen das dort seit Monaten installierte Flüchtlingscamp aufgerufen hatte. Die Nazis hatten offenbar keinen Bock, kräftig Prügel zu kassieren, und bliesen die Sache ab. Anschließend konnte man sich in den Leuchttürmen der neuen Kreuzberger Bürgerlichkeit erholen, in der morbid-schicken „Voll öko, ey“-Markthalle in der Eisenbahnstraße ein paar Leckerlis erstehen oder im ebenfalls „Voll öko, ey“ – Cafe des „Urban Gardening“-Projektes Prinzessinnengärten am Moritzplatz Biokuchen und einen Latte mit Hafermilch schlürfen. Anschließend machten sich die Fans der örtlichen Clubszene mit Techno-Sound auf den Weg, um den 5. Jahrestag des erfolgreichen, aber weitgehend folgenlosen Bürgerentscheids gegen die Totalbebauung des Spreeufers zu feiern. Und schließlich hatte ein „breites Bündnis“ linker Gruppen zu einer „internationalen Demonstration“ gegen eigentlich Alles aufgerufen („One struggle-one Fight“). Aber warum muss man das zu einem politischen Ereignis welthistorischer Größenordnung aufmotzen?
Nach Aufzählung aller derzeit virulenten Krisenherde der Welt von Rio über Kairo und Istanbul bis nach Lissabon und Athen heißt es in dem Aufruf: „Es sind nicht getrennte Kämpfe, es ist ein und derselbe Kampf um ein Leben in Freiheit und Würde, ein menschenwürdiges Leben, das mit Kapitalismus und dem bürgerlichen Staat nicht zu haben ist. Wir wollen diese Kämpfe auch hier, im Herzen einer der Bestien, zusammenführen und unseren kämpfenden Schwestern und Brüdern zeigen, dass sie für uns Inspiration und Hoffnung sind.“
Sorry, Genossen; geht’s auch mal eine Nummer kleiner? Nichts ist gegen einen schönen Kiezspaziergang mit einigen Gleichgesinnten rund um das Kottbusser Tor an einem lauen Sommerabend einzuwenden. Aber wenn sich rund 200 Menschen -aufrechte DKP’ler, radikale Antifaschisten, türkische und kurdische Gruppen , angehende Parteigründer („NaO-Prozess“) sowie „sogar rund 20 Bulgaren“ wie mir einer der Initiatoren stolz mitteilte- von gefühlten 300 Polizisten durch Kreuzberg eskortieren lassen, haben die Teilnehmer vielleicht ihren Spaß gehabt, aber wohl eher weniger „die Kämpfe im Herzen der Bestie zusammengeführt“.
Ansonsten bin ich am Sonnabend der Lösung meines vor kurzem auf dieser und einer anderen Seite skizzierten Rosé-Problems näher gekommen. Viele Leser haben mir – wie erbeten -Tipps gegeben. Einiges davon habe ich mittlerweile probiert – und es gab einen Volltreffer. Der „Clarette“ 2012 vom Weingut Knipser ist mehr als nur ein „Platzhalter“ für meine geliebten Rosés von Hummel und Hein. Ein wunderbarer Tropfen: klar, leicht, spritzig, knackige, aber gut gepufferte Säure, feine rote Stachelbeere, ein wenig grüner Pfeffer und grüne Paprika sowie ein ultradezenter Hauch von Himbeere. Für den Clarette muss man allerdings zwischen 8,60 und elf Euro hinlegen. Das ist natürlich nicht ganz billig, der Wein ist sein Geld aber wert.
Bei der mir ebenfalls empfohlenen Rebsorte Schilcher bin ich bislang nicht fündig geworden, werde aber schleunigst ein einschlägiges österreichisches Fachgeschäft aufsuchen. Und dem Leser J. Seibold, der mir einen Rosé trocken vom Weingut Zelt empfahl, muss ich leider mitteilen, dass auch ich einige Prinzipien habe. Und dazu gehört: ICH TRINKE KEINEN DORNFELDER!! Und schon gar nicht als Rosé.
Den kommenden Sonnabend werde ich mit ziemlicher Sicherheit nicht in Kreuzberg, sondern auf meinem Wandlitzer Landsitz verbringen. Natürlich mit dem Clarette und hoffentlich auch ein paar Flaschen Schilcher im Gepäck. Und frischen Sardinen, die nach einer Kurzbehandlung mit Zitrone und Meersalz auf dem Grill landen. Den Kapitalismus finde ich übrigens trotzdem scheiße.
Rock’n Roll. Was für ein geiler Schlusssatz in diesem Kontext. :))
Ja, so ist es halt ab und zu mit der Selbst- und der Fremdwahrnehmung. Trotzdem schade, das auch in Berlin bis auf wenige Ausnahmen keine Massen mehr zu mobilisieren sind.
Zum Weinteil:
Dein Dornfelder-Statement tut mir in der Seele weh. Der Sortendogmatismus hat bewirkt, dass tolle Dornfelder-Produzenten wie KNIPSER oder PFLEGER keinen mehr machen, da die Nachfrage (vielleicht auch bedingt durch die den Markt überschwemmende Massenplörre) auch vor allem in Restaurants nicht mehr da ist.
Ein König ist, wer noch Restbestände von Knipser Dornfelder *** oder Jakob Pfleger Dornfelder Curator im Keller liegen hat. Den Knipser findet mensch auch manchmal noch in Weinkarten gehobener Gastronomie wie z.B. die Krone in Assmannshausen.
Einen Rosetipp von mir:
Grottolo Rosato Toscano IGT 2012 von Colle Massari. Ein Rosato von den Traubensorten Sangiovese,Ciliegiolo und Montepulciano. 13,4% Alkohol und 2,7 g Restzucker.
sonntagliche grüsse