Für mich persönlich ist die Islamisierung des Abendlandes ein alter Hut. Bereits 2008 habe ich – damals noch in der „Jungen Welt“ – einige Fatwas gegen untragbare Geschmacksverbrechen ausgesprochen, z.B. gegen Dornfelder. 2010 folgten dann im „demokratischen Weinbuch weitere Verdikte gegen Prosecco, Federweißen und Glühwein. Im „kulinarischen Notfallkoffer“ und in einigen Artikel bei „Captain Cork“ wurden diese 2012 und 2013 bestätigt. Besonders das unumschränkte Verbot von Glühwein lag mir stets am Herzen – entsprechende Rechtsbelehrungen wurden von mir in jedem Jahr zu Beginn der kritischen Zeit Anfang Dezember in alle Winkel des Internets gepostet, zuletzt hier.
Und dann das! Am Sonnabend besuchte mich der Moselwinzer Harald Steffens in Moabit und hatte unter anderem eine Flasche Burger Hahnenschrittchen Riesling trocken 2011 im Gepäck. Diesen erhitzte er in einem Topf zusammen mit einer Zimtstange, zwei Nelken und 50 Gramm Zucker auf exakt 72 Grad. Anschließend wurde dieses Heißgetränk in Tassen gegossen und noch mit einer minimalen Prise Pfeffer veredelt.
Ich roch, ich nippte, ich trank – und ich wollte mehr! Die feine, trockene, trotz Erhitzung deutlich wahrnehmbare Rieslingfrucht harmonierte prächtig mit der dezenten Würze und der Süße. Erst langsam wurde mir klar, was hier gerade passierte. Ich trank Glühwein – und ich fand ihn großartig!
Natürlich bleibt meine Fatwa in ihren Kernbestandteilen bestehen. Was vorproduziert in Tetrapacks und Flaschen oder frisch totgekocht in riesigen Kesseln auf Weihnachtsmärkten als Glühwein angeboten wird, ist ein Geschmacksverbrechen und gehört verboten. Ohnehin kann ein schlechter Wein – und das ist in der Regel das Grundprodukt von Glühwein – nicht besser werden, wenn man irgendwelche Gewürze und Unmengen Zucker hinzufügt. Mit gutem Wein scheint es allerdings möglich, ein ausgesprochen wohlschmeckendes saisonales Getränk zu fabrizieren – vorausgesetzt man übertreibt es weder mit Zucker und Gewürzen, noch mit der Hitze. Außer Nelken, Zimt und der Prise Pfeffer könnte ich mir bei weißem Glühwein noch einen Hauch Ingwer vorstellen, beim roten Pendent ein wenig geriebene Orangenschale.
Doch alles muss seine Grenzen haben. Harald Steffens hatte noch eine weitere Flasche von seinem Gut im Gepäck, eine Riesling Auslese trocken 2009 vom Reiler Goldlay. Den Vorschlag, doch auch dieses ausgesprochen edle Tröpfchen als Glühwein zu verarbeiten, wies ich brüsk zurück. Der kommt schön in mein Regal und am 26. Dezember zur Tofu-Lachs-Terrine auf den Tisch. Und zwar mit 12 Grad und nicht mit 72!
Das Funktionsprinzip von klassischem Glühwein scheint nun gerade nicht die Verbesserung des Weines zu sein: http://www.deutschlandradiokultur.de/amphetamine-stimmungsaufheller-in-weihnachtsleckereien.993.de.html?dram:article_id=305314
Das Weihnachtsgefeiere soll ganz dem klassischen Dreiklang zu dienen: Sex (http://kiezneurotiker.blogspot.de/2014/12/zucker-und-fett-in-potemkins-kiez.html), Drogen und Rock’n…äh…Schlager.