Nein, es liegt nicht nur an meinen plötzlich wieder aufgetauchten Bandscheibenproblemen, dass ich schlechte Laune habe. So durfte ich im aktuellen SPIEGEL lesen, dass es überhaupt kein Problem mit steigenden Mieten in vielen Großstädten gäbe, wenn die ganzen Habenichtse nicht partout darauf bestehen würden, in „hippen“ Stadtteilen wohnen zu wollen.
Offensichtlich sind die großkotzig-asozialen Gutverdiener in der Hamburger Redaktion sogar zu faul, mal in einen Stadtplan zu gucken. Stattdessen heißt es über Berlin: „Wohnungen, die in Berlin-Kreuzberg angeboten werden, locken fast sechsmal so viele Interessenten an wie Objekte in Wilmersdorf, das ganz in der Nähe liegt“. Nicht nur, dass das gutbürgerliche Wilmersdorf alles andere als eine preiswerte Wohngegend ist; es liegt auch ziemlich weit weg von Kreuzberg.
Die Pressekonferenz am Dienstag, wo quasi nebenbei erläutert wurde, dass in 20 Jahren mindestens 25 Prozent aller Senioren auf Hartz-IV-Niveau oder knapp darüber leben werden und daher keine Chance auf altersgerechte Wohnungen haben, war auch kein Stimmungsaufheller. Großen Spaß macht dagegen Herr Snowden, der die Herren der Finsternis mit seinen Enthüllungen über Schnüffelei in bislang unvorstellbarem Ausmaß gewaltig ins Schwitzen bringt. Gerne würde ich ihm in meinem Stolzenhagener Landsitz politisches Asyl gewähren. Aber Merkels Schergen würden ihn vermutlich umgehend an die USA ausliefern.
An der Genussfront sah es auch nicht viel besser aus. Vor einigen Wochen lobte ich nahezu überschwänglich einen rumänischen Biowein, der für 6,99 erstaunlich viel Dichte und Komplexität bietet. Jetzt gibt es den neuen Jahrgang dieses Weines, und der schmeckt dermaßen furchtbar plump und pappig, dass man sich fragt, wie die den Vorgänger hinbekommen haben
Trinken hilft ohnehin nicht wirklich, aber ein lustiger Wein kann durchaus ein wenig Lebensfreude verbreiten. Eine schöne Weißwein-Cuvée im unteren Preissegment hat derzeit die Bio Company im Programm. Zwar handelt es sich bei dem „Tertula“ aus der spanischen Region La Mancha um die Massenabfüllung einer großen Kellerei, doch für 3,99 Euro bekommt man vergleichsweise richtig guten trockenen Stoff. Blumig-würziger Moscatel wird fein mit säurebetontem, kernigen Verdaja austariert. Kein großes Aromenspiel, aber saftig, knackig, gradlinig und mit 11,5% Alkohol angenehm schlank. Da werde ich mit meinem angeschlagenen Rücken wohl mal zu einem Fischdealer humpeln, um eine Dorade oder einen Wolfsbarsch aufzutreiben, das Tier mit ein paar Kräutern füllen und dann in den Ofen schieben. Immerhin habe ich eine (noch) bezahlbare Wohnung in einem allmählich „hip“ werdenden Altstadtkiez und Hartz IV droht zumindest nicht unmittelbar. Auch das ist heutzutage schon ein Grund für eine kleine kulinarische Feier.