Unter falscher Flagge

Man muss nicht vor Ehrfurcht erstarren, wenn auf dem Esstisch des Gastgebers plötzlich eine Magnumflasche eines berühmten Erzeugers steht. Aber ein paar freudige Erwartungen waren durchaus angebracht, denn schließlich zählen die Rieslinge vom noblen VDP-Winzer Ernst Loosen aus Bernkastel zur nationalen Spitze und auch international zu den erfolgreichsten deutschen Top-Weinen.

Doch was da aus dem Glas mumpfte und dezent den Gaumen verklebte, war eher Mosel zum abgewöhnen. Aufdringlich süß, ohne anständiges Säurespiele und ohne jegliche Finesse kam diese laut Etikett feinherbe Riesling-„Privatreserve“ von Ernst Loosen daher.

Da lohnte dann doch ein Blick auf die Flasche und auf’s Kleingedruckte. Lagen- oder Ortsbezeichnung gibt’s nicht, also vielleicht ein Gutswein? Auch nicht, denn selbst dann müsste irgendwo der VDP-Adler zu sehen sein. Doch dann die Lösung: Recht kleingedruckt steht da geschrieben: „Abfüller: Gebr. Loosen GmbH“ mit Sitz in einem Wittlicher Industriegebiet. Der Wein stamme aus „besten Mosel-Weinbergen“ und werde nur in begrenzter Menge produziert wird versichert.Hat man irgendwo schonmal gehört.

Alles Loosen oder was?

Also keine Gutsabfüllung sondern ein Kellereiwein aus zugekauften Trauben, für einen Großkunden und -vertreiber mit einer bestimmten Aufmachung versehen („Privatreserve“) und „streng limitiert“ gar in einer Magnum-Flasche abgefüllt. Und natürlich mit dem großen Namen „Loosen“ werbend, im Internet mit direktem Hinweis auf das berühmte VDP-Weingut.

Dass er nicht schmeckt, ist die eine Sache und nicht besonders bemerkenswert. Schließlich schmecken die meisten Weine, die es im Handel gibt, nicht besonders. Aber das dieser müde Süßwässerchen-Leichtmatrose unter stolzer Loosen-Flagge segelnd und entsprechend erstaunlich bepreist auf dem Weinmarkt umhergeistert, vedirbt den Appetit erst recht. Verboten ist das alles natürlich nicht, aber früher nannte man das wohl Rosstäuscherei. Wobei die Vorstellung, dass dieser Wein im Hause des renommierten Winzers Ernst Loosen in Bernkastel den Status einer „Privatreserve“ haben könnte, schon was Belustigendes hat.

Deutsche Einheitsbrühe

Lange Zeit war Deutschland in Sachen Cuvées ein Entwicklungsland. Während in den meisten großen Weinbauregionen der Verschnitt verschiedener Rebsorten traditionell das Maß aller Dinge und auch weingesetzlich reglementiert wird, stand in Deutschland rebsortenreiner Wein im Mittelpunkt, wenn man mal von merkwürdigen Getränken wie „Trollinger mit Lemberger“ absieht.

Der Klimawandel und der Rotweinboom haben dafür gesorgt, dass sich das allmählich ändert. Der Anbau internationaler Rebsorten wie Cabernet Sauvignon und Merlot erlebte einen kräftigen Aufschwung, dazu kommen etliche Neuzüchtungen wie Cabernet Dorsa, -Mitos, -Cubin u.a. Es wird kräftig experimentiert, auch unter Verwendung traditioneller deutscher Sorten wie Lemberger, Spätburgunder und Portugieser. Auch bei Weißweinen ist eine Zunahme der Cuvées zu verzeichnen, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie bei Roten.

Statt Verkostungsnotizen nur ein Wort: Aua!

Dass neben interessanten bis großartigen Weinen dabei auch allerlei Mist auf den Markt gespült wird, gehört zum Wesen neuer Trends. So kann man ein Projekt der Universität Geisenheim wohl getrost als veritable Schnapsidee bezeichnen. Dort kreierten Studenten zwei Weine zum 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Dafür wurden Weine des Jahrgangs 2014 aus allen 13 deutschen Anbaugebieten zusammengeschüttet, in der weißen Einheitsbrühe landeten außer 60 Prozent Riesling auch Scheurebe, Solaris, Müller-Thurgau, Chardonnay, Silvaner und Weißburgunder verschiedenster Qualitätsstufen und Terroirprägungen vom Fasswein bis zur VDP-Auslese . Beim Roten konzentrierte man sich auf Spätburgunder (90 Prozent), dieser allerdings von teilweise eher zweifelhafter Herkunft und ergänzt durch ein bisschen Domina und Regent. Wie die beiden „Einheitsweine“ geschmeckt haben, kann sich vermutlich jeder Weinfreund vorstellen. Ich verzichte auf vertiefende Bemerkungen, das Zeug war schlicht und ergreifend sch…..

Angeblich sollte das Zeug am 3.Oktober 2015 in Wiesbaden bei einer großen Einheitsfeier „von Staatsmännern und Regierungschefs aus der ganzen Welt verkostet werden“, wie es in der Pressemitteilung aus Geisenheim hieß. Man kann sich nur wundern, dass im Anschluss an die Sause nicht mehrere Staaten die diplomatischen Beziehungen mit Deutschland abgebrochen haben. Aber irgendwie sind es auch zwei ehrliche Weine, denn sie illustrieren angemessen den Verlauf des deutschen Einheitsprozesses.

 

Der Soundtrack der Revolte – Warum Linke Bach hören sollten

Der 7.November war mal wieder so ein Tag , den kein Menschen braucht. 5000 hauptsächlich aus Ostdeutschland herangekarrte PEGIDA- und AfD-Vollpfosten, die sich größenwahnsinnig als „das Volk“ bezeichneten, mäanderten durch Berlins Innenstadt. Die Polizei sorgte mit Schlagstöcken und Pfefferspray dafür, dass sie auf dem Weg zur Abschlusskundgebung vor dem Roten Rathaus ungestört von Gegendemonstranten ihre Hassparolen gegen „Volksverräter“, „Asylschmarotzer“ und natürlich die „Lügenpresse“ skandieren konnten.

Doch richtig weh tat es dann vor dem Beginn der Kundgebung. Denn die Veranstalter empfingen die Demonstranten nicht wie zu erwarten mit patriotischem Liedgut oder volkstümlichem Schlagergedudel, sondern mit einem der schönsten und strahlendsten Werke der europäischen Musikgeschichte: Den „Brandenburgischen Konzerten“ von Johann Sebastian Bach. Es war mit ziemlicher Sicherheit die schönste musikalische Umrahmung einer politischen Kundgebung, die in diesem Jahr in Berlin zu hören war. Und das ausgerechnet bei einer Versammlung von ausgewiesenen Rassisten und militanten Gegnern einer weltoffenen Kultur.

Leider kann man den Rechten nicht verbieten, Bach als Kronzeugen für ihre „deutsche Leitkultur“ zu missbrauchen. Aber warum wird man die „Brandenburgischen Konzerte“ wohl nie auf einer linken, antifaschistischen Kundgebung hören? Warum lassen wir uns die kraftvollen, inspirierenden und visionären Werke des wohl wichtigsten deutschen Komponisten nicht nur vom elitären Bildungsbürgertum, sondern jetzt auch noch von der AfD wegnehmen?

Aber warum könnte Bach der Soundtrack der Aufklärung und der Revolte sein? Seine Musik gehört schließlich zum Kanon der bürgerlichen Hochkultur und ist Dreh- und Angelpunkt der (evangelischen) Kirchenmusik, bewegt sich also in einem geistig-kulturellen Umfeld, zu dem man als gestandener Linker einen gewissen Abstand hält. Dazu kommen Schmierengeiger und -geigerinnen (Nein, ich nenne jetzt keine Namen) die sich auf unerträgliche Weise an zarten, fast introvertierten Meisterwerken wie der berühmten „Aria“ aus der 3. Orchestersuite vergehen und diese für Werbezwecke missbrauchen. Besonders schlimm wird es in der Adventszeit, wenn filigrane Choräle und Chorsätze in unsäglich verschleimten und verpopten Versionen als verkaufsförndernde Beschallung in Konsumtempeln und auf Weihnachtmärkten fungieren.

Ja, man hat uns Bach entfremdet, hat ihn uns weggenommen. Daher wird es höchste Zeit, dass wir ihn uns wieder aneignen. Gerade jetzt, wo die Welt anscheinend vollkommen aus den Fügen gerät, Deutschland wieder mal Krieg führt und Fluchtbewegungen für ein kaum für möglich gehaltenes Erstarken empathiefreier, rassistischer Strömungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft gesorgt haben. Gerade die Musik von Johann Sebastian Bach kann da zur Kraftquelle, zum Reinigungsbad für die Seele werden. Weiterlesen

Warum ich mein SPIEGEL-Abo kündige

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die das Abonnement einer Zeitschrift kündigen, weil ihren ein Artikel nicht gepasst hat. Im Gegenteil: Solche Reaktionen habe ich in meiner Zeit als Redakteur bei der „Jungen Welt“ stets mit Belustigung zur Kenntnis genommen. Wer in einem Presseerzeugnis ausschließlich seine eigene Meinung wiedergespiegelt haben möchte, sollte vielleicht besser Selbstgespräche führen.

Mein Entschluss jetzt den SPIEGEL abzubestellen ist eher das Ergebnis einer langen, schleichenden Entfremdung. Natürlich gibt es in dem Magazin immer noch Sternstunden des investigativen Journalismus und brillant geschriebene Artikel. Und das Rechts-Links-Duell zwischen den polarisierenden Kolumnisten Jan Fleischhauer und Jakob Augstein gehört zum Besten, was die die deutsche Presselandschaft zu bieten hat. Doch das kann ich auch im Netz lesen, und der Rest wird nach meinem Empfinden immer dröger und substanzloser und ist teilweise auch journalistisch ausgesprochen unsauber, vor allem wenn Meinung, Bericht und Analyse vermischt werden.

Wie in der aktuellen Ausgabe. In einem längeren Artikel zum Titelthema Rechtspopulismus in Deutschland ist zu den Ursprüngen „der neuen rechten APO“ gegen Zuwanderung zu lesen: “Sie liegen tiefer, sie reichen zurück zu den Protesten gegen Hartz IV, gegen die Eurorettungspolitik oder umstrittene Bauprojekte wie Stuttgart 21“.

Das reicht. Den SPIEGEL kaufe ich mir künftig bei Bedarf am Kiosk.

Es ist nur ein Buch, aber…..

Es macht Spaß mit einem frischen und vor allem topaktuellen Buch in der Tasche durch die reale und virtuelle Welt zu wandeln. Mein „Faktencheck Flüchtlingskrise: Was kommt auf Deutschland noch zu?“ wird hoffentlich für einige Diskussionen sorgen – und bei einigen Linksradikalen vermutlich für kleinere Shitstorms, weil ich weder das „offene Grenzen für Alle, immer und überall“- Gedöns mitspiele, noch bereit bin, alle Menschen, denen die forcierte Zuwanderung unheimlich ist und die sich fragen, was das für ihr eigenes Leben bedeutet, als Rassisten zu bezeichnen. Die Aufnahme und Integration so vieler Flüchtlinge in so kurzer Zeit ist eine Herkulesaufgabe, die sowohl Empathie als auch den entsprechenden politischen Willen zur Lösung braucht. Die Flüchtlinge brauchen zunächst das Nötigste zum Leben, was ihnen von den offiziellen Stellen oft genug verweigert wird und nur durch das Engagement freiwilliger, unbezahlter Helfer einigermaßen abgepuffert werden kann – was ein Riesenskandal ist, weil sich der Staat aus der Verantwortung stiehlt. Doch dann brauchen sie Sprachkurse, Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten, Jobs, Wohnungen (keine Notunterkünfte), Kindertagesstätten, Schulen und, und, und. Sie brauchen ferner die Bereitschaft der hier lebenden Menschen, sie bei der Eingewöhnung in die neuen Lebensverhältnisse und die für viele vollkommen fremden gesellschaftlichen Regeln zu unterstützen. Das kann geschafft werden, aber auch dann, wenn im nächsten Jahr erneut eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen? In gewissen Kreisen gilt alleine schon diese Fragestellung als „rassistisch“.

Mein Buch versucht, einige Fakten und Hintergründe zu liefern, was nicht heißt, dass ich auf klare Positionen verzichtet habe. Am kommenden Freitag (18.12) habe ich meine erste (der hoffentlich viele folgen werden) Lesung mit Diskussion in einer Moabiter Kiezkneipe (Nordwest Oase, Wiclefstraße 17), veranstaltet von der örtlichen SPD. Beginn ist um 19 Uhr.

Ab Mittwoch im Buchhandel:

„Faktencheck Flüchtlingskrise: Was kommt auf Deutschland noch zu?“

edition berolina

ISBN 978-3-95841-030-5

9,99 Euro

Realität tut manchmal weh

Irgendwie war es heute anders in den „Galeries Lafayette“. Wenn ich in Berlin-Mitte zu tun habe, pflege ich dort gelegentlich einzukehren, um ein paar kleine Leckereien zu erstehen. Die Feinkostabteilung dieses Kaufhauses ist ein kleiner Rausch der Sinne und weckt bei mir immer wieder Erinnerungen an Frankreich-Aufenthalte, an Rotwein zum Frühstück bei einem offiziellen Empfang in Brest, an die erste Auster in der Bretagne, an singende Köche in dem kleinen Landhotel, an die Fermes Auberges mit ihren ausschließlich regionalen und saisonalen Produkten, an das unglaubliche Picknick am Canal de Bourgogne, an das große, stolze Paris und die ebenso deftige wie feine Küche des Alsace.

Was von “meinem” Frankreich bleibt…..

Auch heute habe mir dort was gekauft, zwei köstliche Terrinen und eine halbe Flasche Rotwein aus Bergerac. Es wird mir sicherlich munden, doch meine unbeschwerte Sympathie für dieses Land und seine Menschen hat einen kräftigen Knacks bekommen. Die große Republik, das große Bollwerk der Aufklärung und der Lebensfreude gegen teutonisch-protestantischen Ungeist, das alles ist offensichtlich am Bersten.

Ich bin weder naiv noch bescheuert. Die ökonomischen und politischen Hintergründe des erschreckenden Rechtsrucks sind mir durchaus bewusst. Es ist auch nicht die einzige große europäische Kulturnation, die diesen Weg geht (siehe Polen).

In Deutschland sieht es kaum besser aus. „Wir“ führen mal wieder Krieg, eng verbündet mit den Verbrechern, die die Türkei und Saudi-Arabien beherrschen. Und noch immer sitzen Tag für Tag und Nacht für Nacht hunderte Flüchtlinge bei mir um die Ecke vor der zentralen Anlaufstelle der Hauptstadt, weil die Behörden seit über einem halben Jahr außer Stande sind, diese menschenunwürdigen Zustände zu beenden. Derweil haben selbst die abgeranztestes Imbisse auf der Turmstraße ihre Weihnachtsdekoration aufgehängt und aus dem Telefonshop dröhnt „Jingle Bells“.

Draußen ist es dunkel. Ich werde jetzt ein paar Scheiben Terrine essen und ein Glas Bergerac trinken. Und dazu die Motette „Jesu meine Freude“ hören. Der Text wird mich nicht erbauen. Aber vielleicht die Musik.

RAW – die nächste Sau durchs Weindorf

Für die Weinszene war es eine Art Pilgerfahrt. Die Weinmesse RAW, die am Sonntag in der Kreuzberger Markthalle Neun zelebriert wurde, widmete sich ausschließlich schwefelfreien bzw. -armen und auch sonst möglichst naturbelasssen produzierten Weinen. Zu den Kriterien gehören ferner biologische Bewirtschaftung, Handlese und Verzicht auf Fremdhefen bei der Vergärung. Schönung und Filtration sind allerdings erlaubt, müssen aber angegeben werden.

RAW versteht sich als eine Art Vernetzungsplattform von Winzern, Weinbauverbänden, Importeuren, Händlern und Konsumenten – und haut medial mächtig auf die Sahne. Die ist viel von „Authentizität“, „Emotion“, „lebendiger Präsenz“ usw. die Rede. Hat man aber alles auch schon in anderen Prospekten gelesen. Und der Hype um die „Orange Wines“ aus Amphoren ist ja auch nicht mehr so neu.

122 Winzer aus 16 Ländern präsentierten sich in der rappelvollen Markthalle. Viel Italien, viel Frankreich, aber auch Exoten wie Tschechien und Polen waren vertreten.

Ich mach es kurz: Mindestens die Hälfte der schwefelfreien Weine, die ich probiert habe, schmeckten gelinde gesagt ziemlich merkwürdig, irgendwo zwischen Sherry und verdorbenem Fruchtsaft. Manche waren einfach nur furchtbar. Wenn das der neue Trend sein soll, für den betuchte Connaisseure in den Top-Restaurants dieser Welt Unsummen bereit sind auszugeben – bitte sehr. Aber ohne mich. Jedenfalls verließ ich nach knapp 90 Minuten relativ entnervt die Lokation und machte mir zu Hause erst mal einen anständigen Wein auf, einen Centgrafenberg von Rudolf Fürst. Erfüllt garantiert nicht alle RAW-Kriterien, schmeckt aber großartig.

Ich weiß es doch auch nicht

Gestern war für die evangelischen Christen in Deutschland der Toten- oder auch Ewigkeitssonntag, an dem der Verstorbenen gedacht werden soll. Ich bin nicht gläubig. Dennoch habe ich einen Gottesdienst besucht, in der Kaiser-Wuilhelm-Gedächtniskirche im Zentrum des alten Westberlin. Ein ziemlich normaler Gottesdienst, mit der festgelegten Liturgie und einer leider stinklangweiligen Predigt. Auch wollte ich endlich mal die wunderbare Orgel von Karl Schuke hören, die vor einigen Wochen beim Jazzfest so grausam missbraucht wurde. Irgendwie hat es mich ergriffen, vor allem „Wachet auf ruft uns die Stimme“, ein Choralsatz für Orgel von J.S Bach.

Die Schuke-Orgel in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche

Auch für Agnostiker kann eine Kirche ein geeigneter Ort der Einkehr und des Innehaltens sein. Das würde ich vor allem all jenen Dampfplauderern empfehlen, die nach dem Massaker von Paris gleich paketweise Verschwörungstheorien und Schlussfolgerungen im Angebot haben.

Es ist teilweise unfassbar. Da wird nahe gelegt, der Anschlag sei in Wirklichkeit von westlichen Geheimdiensten inszeniert worden, um weitere Kriege vorzubereiten. In einem „linken“ Forum war dann wiederum die Rede davon, dass das Massaker „berechtigte Gegenwehr“ gegen die Luftschläge Frankreichs gegen den IS gewesen seien. Aber auch die „Guten“ sind voll neben der Spur, wenn sie gebetsmühlenartig betonen, mit dem Islam habe das alles rein gar nichts zu tun.

Es gibt noch etliche Fragen und Aspekte, aber ich habe derzeit einfach wenig Lust, mich dazu detaillierter zu äußern und habe zu vielem auch noch keine eindeutige Position, weder zu Militärschlägen gegen den IS, noch zu intensivierter Überwachung des öffentlichen Raums. Aber damit macht man sich als Linker in der Regel ja schon verdächtig.

Dass die Anschläge auch den Diskurs über die „Flüchtlingsflut“ beeinflussen, liegt auf der Hand. Die AfD gewinnt beträchtlich an Zustimmung. Das alleine finde ich nicht sonderlich beunruhigend, denn der ohnehin vorhandene dumpfbackige, fremdenfeindliche Bodensatz der Gesellschaft hat jetzt mal wieder ein medienwirksames Sprachrohr gefunden. Perfide ist allerdings, wie die herrschenden Parteien mit dem Blick auf Umfragen diesem Gedankengut hinterherhecheln und sich in der Strategie (EU-Grenzen militärisch sichern, nur noch Kontingentflüchtlinge aufnehmen) weitgehend einig sind – und weiterhin fröhlich Waffen z.B. an Saudi-Arabien liefern und den engen Schulterschluss mit der Türkei suchen, die ja bekanntlich eher die Kurden als den IS bekämpft. Weniger perfide, dafür aber strunzdumm ist die weit verbreitete Arroganz der „Guten“, die jeden Dialog mit Menschen, die der Zuwanderung skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, für sinnlos und überflüssig erachten.

Für mich war es sowieso eine durchwachsene Woche, und das nicht nur, weil es relativ plötzlich kalt wurde. Ein vereinbartes Essay über die Genussunfähigkeit vieler deutscher Linker und die protestantischen Wurzeln dieses Kulturphänomens wurde vom „linken“ Auftraggeber abgelehnt – was in sich gesehen einigermaßen logisch ist. Aber einen Versuch war es wert. Jetzt suche ich halt einen „bürgerlichen“ Abnehmer, obwohl der Text in diesem Umfeld fast denunziatorisch klingen könnte.

Dann hatten wir da noch diese schmierige Posse um einen vielleicht nicht wirklich “rechten” aber zumindest ziemlich eklig durchgeknallten Schlagerheini bzw dessen Nominierung für eine Bekloppten-Show namens ESC. Der darf jetzt doch nicht “für Deutschland” singen, was das ganze Querfront-Gesockse zu wütenden Attacken gegen die obigatorische “Lügenpresse” und das Beschwören einer Meinungsdiktatur veranlasst. Bäääh!

Genusstechnisch ist auch nicht viel passiert. Wird höchste Zeit, dass ich wieder was Ordentliches koche und einen richtig guten Wein dazu trinke. Und natürlich Bach höre.

 

Gourmet-Alarm in Moabit: Mufflon!

Gerne hätte ich dieses Essen für meine Freundin und mich zubereitet. Doch es wurde dann doch leider ein „Dinner for One“. Sie werde keinesfalls Fleisch von diesem Tier essen, lautete die sehr bestimmte Ansage. Denn dieses sei „hässlich“, habe „ein struppiges, filziges Fell“ und schmecke bestimmt „wie ein alter Hammel“. Und bei dieser Gelegenheit; Schnecken, Froschschenkel und Gänsestopfleber würde sie ebenfalls niemals essen. Gegen solide geschmortes Wildschwein habe sie hingegen nichts einzuwenden.

Sieht doch wirklich zum reinbeißen aus, oder?

Mach ich bestimmt bald mal wieder. Doch diesmal ging es um Mufflon, das europäische Wildschaf, das sich hauptsächlich in hügeligen bis bergigen Gegenden aufhält und ziemlich schmackhaft und gesund ernährt (vor allem Gräser, Laub, Kräuter, Moos, Flechten und Triebspitzen) Mein Wild- und Geflügeldealer in der halbgentrifizierten Moabiter Markthalle hat derzeit Rücken, Keule und aus dem Rücken ausgelösten Filet im Angebot, letzteres für 13 Euro pro Kilo (kein Tippfehler) Da ich nur ein bisschen probieren wollte, entschied ich mich für Filet. Einen Wildfonds hatte ich noch im Eisfach und meinen Wandlitzer Bio-Rotkohl wollte ich ohnehin für ein Wochenendessen zubereiten.

Alles ist ganz einfach: Die zarten Filets salzen, pfeffern, kurz und scharf anbraten, mit ein wenig Rotwein ablöschen, Wildfonds (im dem auch Piment, Wacholder, Rosmarin und ein wenig Knoblauch verarbeitet sein sollten) dazu geben und bei schlaffer Hitze 20 Minuten schmoren. Die Soße kann man bei Bedarf etwas nachwürzen und ein wenig binden, auf Letzteres verzichte ich meistens.

Natürlich ist hier nicht „alter Hammel“ (bzw. Widder), sondern feinstes, fettarmes Fleisch von einem Jungtier angesagt. Es ist wunderbar zart, fast mürbe und erinnert ein wenig an Reh und Heidschnucke. Dazu passen mittelschwere Rotweine mit möglichst wenig Holz. Ich hab es mit einem recht einfachen, aber sehr gut passenden, jungen spanischen Landwein versucht, dem 2014er Oveja tinta Graciano, der zu 100% aus besagter Rebsorte besteht und mit feinen Beerenaromen, kräfigter Säure und knackigen Tanninen auftrumpft. Passt auch sehr gut zum Rotkohl. Auch den gibt’s derzeit im Angebot, für unglaubliche 4,29 Euro bei Mitte Meer

Jedenfalls war das definitiv nicht mein letztes Mufflongericht. Und wer schon immer mal in unbekannte Wildgefilde mit hohem Genussfaktor vorstoßen wollte, sollte sich schleunigst auf den Weg zur „Geflügeloase“ in der Moabiter Markthalle machen.

 

Augen auf beim Kaffeekauf

Alles hat eine Vorgeschichte. Anfang der Woche verabschiedete sich mein Computerbetriebssystem (Ubuntu 14.04) bei einem Update nachhaltig aus meiner persönlichen IT-Welt. Ein in diesen Dingen wesentlich fitterer befreundeter Kollege erbot sich, die Kiste wieder zum Laufen zu bringen, was sich als relativ kompliziertes Unterfangen erwies, da mein chinesisches Wunderwerk (lenovo) partout nicht booten wollte. Die erste Versuchsreihe blieb jedenfalls erfolglos, ein 2. IT-Subbotnik am kommenden Morgen wurde notwendig.

Natürlich kredenzte ich meinem Kollegen einen Milchkaffee, basierend auf frisch gemahlenen Bohnen meiner Lieblingssorte „Delta Platinum (aus Portugal). Nach getaner erfolgreicher Arbeit gelüstete ihm nach einer weiteren Tasse. Auch das kein Problem, anschließend war der gute Platinum allerdings alle, und die Vorstellung, keinen Kaffee im Haus zu haben, bereitete mir Seelenpein. Da ich noch einiges zu tun hatte, kam ein Ausflug zum nächstgelegenen Platinum-Dealer (Super Iberico in Kreuzberg) leider nicht in Frage. Und was mache ich Trottel? Ich ging zum Netto – Discounter um die Ecke und erstand ein Kilo Espressobohnen der Hausmarke („kräftige Röstung“) zum unschlagbaren Kampfpreis von 7,49 Euro.

Espresso kann so schön sein. Und so grausam

Ich hätte ahnen können, dass sich dieser Kauf als Desaster entpuppen würde. Hart, bitter und sauer im Mund und dazu ein infernalischer Nachgeschmack: So muss es sich wohl anfühlen, wenn man einen Löffel abgestandene Zigarettenasche verspeist hat. Der Geschmack verfolgte mich über Stunden und war selbst mit ausgiebigem Mundwassergurgeln nicht zu eliminieren.

Bei einem abendlichen Termin, einem Laternenumzug gegen fiese Spekulanten im Kreuzberger Wrangelkiez (steht heute im „Neuen Deutschland“) versuchte ich es mit einem starken Gegengift und gönnte mir – wohl wissend, dass auch das die Hölle ist – einen Glühwein. Doch das machte die Sache nur noch schlimmer: Die kalte Asche wurde jetzt zusätzlich verklebt und versüßt. Rettung nahte erst gegen 20 Uhr, als ich ein hervorragend zubereitetes Geflügelgericht mit Riesling-Chutney zu mir nehmen durfte.

Mit den Espressobohnen von Netto kann sich mittlerweile die Berliner Stadtreinigung rumschlagen, der erste „Delta Platinum“ schmeckte nach diesem Horrortrip noch besser als ohnehin. Was lernen wir daraus: Niemals, wirklich niemals schlechte Espressobohnen kaufen, denn die Strafe ist grausam.