Kampf der Giganten

Ich kann Spargel nicht mehr sehen, Und Silvaner auch nicht Naja, jedenfalls ein paar Tage. Aber es gibt ja noch andere nette kulinarische Forschungen, z.B. Elbling und Austern. Um das jetzt gleich mal klarzustellen: Eigentlich geht nur Elbling, genehmigt sind ferner Gros Plant du Pays Nantais und Picpoul. Manchmal auch Muscadet. Die Zulassung von Gutedel befindet sich noch in der geschmackspolizeilichen Prüfungsphase. Nicht zugelassen sind Rfesling und Burgundersorten und sogar strengstens verboten sind Chardonnay, Sauvignon Blanc und alles was britzelt..

Da mir Stefan Marx netterweise eine Flasche Gros Plant aus der Bretagne mitgebracht hat, bietet sich ein Kampf der Giganten an, Dieser Gros Plant vom Chateau der la Bretonnerie soll sich jetzt mit dem bewährten Platzhirsch von der südlichen Mosel messen, Elbling von Stephan Steinmetz .

Beide Rebsorten haben einiges gemein.Sie ergeben in der Regel leichte Weine und weisen eine straffe Säure sowie eher dezente Kernobstaromen auf. Mitunter sind sie auch ausgeprägt mineralisch, mit einer Spur Salz Ferner werden beide Sorten von der „Wein-Szene“ mehr verspottet als gelobt, was sich aus Konsumentensicht äußerst günstig auf das Preisniveau auswirkt. Und zu Austern gibt es einfach nichts Besseres!

Austern aus der Normandie, um deren Gunst ein Bretone und ein Südmoselaner kämpfen. Natürlich in Wandlitz, wo sonst.

 

Also zur Tat. Sechs „Fin de Claires“ sind schnell geknackt und die gut gekühlten Weine harren der Battle. Dem dezent gereiften (2015) Bretonen merkt man das lange Feinhefelager an. Die Säure ist imposant und geht deutlich in Richtung frisch gepresster Zitronnensaft. Bei „Solo-Schluck“ wirkt das ziemlich schrill und scheint gängige Vorurteile („Strümpfestopfer“) zu bestätigen.

Der Südmoselaner (2016) wirkt deutlich geschmeidiger und hat neben der ebenfalls merklichen Säure auch dezente Frucht am Gaumen zu bieten, vor allem herber, mürber Apfel und ein wenig Birne.

Also ran an die Austern. Der Bretone entwickelt mit steigender Temperatur und zu den Austern dann ein wenig Zitrusschale mit einer feinen Bitternote und leicht steinigen Noten. Beim Südmoselaner kitzeln die Austern gar einen Hauch Melone heraus.

Noch ne Auster, noch’n Schluck und so weiter. Fazit: Beides geht gut, aber der Bretone hat die Nase vorn..

Da bekomm ich doch glatt Lust, im Frühherbst mal wieder eine Elbling-Austern-Vergleichsverkostung zu machen, vielleicht mit einem Gros-Plant-“Piraten“. Irgendwie muss man die Zeit bis zu „Lemberger-Wildschwein“ (im Dezember) und der nächsten Spargel-Silvaner-Sause ( Mai 2019) ja rumkriegen.

 

Scheiß Bayern

Zwar kommen noch ein paar Relegationsspiele zur 1., 2. und 3. Liga, und es ist auch durchaus möglich, dass Tennis Borussia in der Oberliga Nordost Optik Rathenow den Aufstieg in die Regionalliga doch noch wegschnappt. Doch im Großen und Ganzen ist die Saison gelaufen. Zeit für den ultimativen Rückblick und die Vorschau auf die kommende Saison.

Endlich, nach 60 Jahren, ist Schalke wieder Deutscher Meister geworden, und das mit satten acht Punkten Vorsprung auf SAP Sinsheim und Schwarz-Gelb ;Lüdenscheid-Nord. Viel schöner ist allerdings, dass die krummbeinigen Pfeffersäcke endlich mal abgestiegen sind.

Nürnberg ist zwar aufgestiegen, wird in einem Jahr aber wieder den Abflug machen. Tschüß Franken, war nett mich euch. Auch Augsburg wäre allmählich mal dran. Braucht kein Mensch.

Die beiden werden dann durch Köln und irgend einen weiteren Looserklub ersetzt werden. Weil es St.Pauli leider und Union hoffentlich nicht schaffen werden. Und der HSV sowieso nicht.

Dritte Liga interessiert keine Sau. Deswegen wollen Katlsruhe und Kaiserslautern da auch so schnell wie möglich raus, und werden in die Zweite aufsteigen.

Ein kometenhafter Aufstieg bahnt sich in Berlin-Moabit im altehrwürdigen Poststadion an. Mäzen Mehmet Ali Han wird Berichten zufolge nochmal die Portokasse öffnen, um „seinen“ BAK 07 in die dritte Liga zu pushen. Dann kann ich immerhin Drittligafussball fußläufig erreichen. Also RUN BAK!

Derweil ist zu erwarten, dass der Ex-Bundesligist Blau-Weiß 90 nach seinem souveränen Aufstieg in die Oberliga Nordost, den Laden rocken wird und im Durchmarsch die Regionalliga erreicht. Es sei denn, Tennis Borussia schafft es diesmal nicht, dann dauerts ein Jahr länger.

Aber eigentlich ist das alles egal. Hauptsache Schalke wird erneut Meister und gewinnt nebenbei auch noch die Champions League. Und den DFB-Pokal.

Achso: Weltmeister wird übrigens Portugal. Deutschland scheidet im Viertelfinale aus. Aber das nur nebenbei.

Verboten ist das nicht. Nur grauenvoll

Wenn der Manager der halbgentrifizierten Moabiter Markthalle neue gastronomische Highlights ankündigt, dann neigt er nicht gerade zu Understatement. Von einer „Sushi-Bar“ und sogar einer „japanischen Sushi-Meisterin“ war vor ein paar Wochen die Rede, Und von der „Poutine Kitchen“, einer „exklusiven kanadischen Streetfood-Spezialität“.

Der Reihe nach. Dort, wo viele Jahre eine Thoben-Filiale eine große Kundschaft mit billigen Industriebackwaren versorgte, hat jetzt ein weiterer Allerwelts-Asia-Imbiss sein Quartier. Dessen Karte weist zwar durchaus Parallelen zum bereits länger ansässigen „HaNoi“ .(unmittelbar davor) auf, aber es gibt auch ein umfangreicher Sushi-Angebot.

Das macht erstmal neugierig, denn Moabit ist nicht gerade als Hotspot für gutes Sushi bekannt. Und daran wird sich vorläufig wohl auch nichts ändern, denn die nachlässig und schmucklos auf den Teller geflanschten Makis, Nigiris und Rolls nebst der 08/15-Accessoires (mittelmäßige Sojasoße sowie Washabi und eingelegter Ingwer aus der Großpackung ) schmecken bestenfalls langweilig, wobei die Konsistenz des Sushi-Reis sogar eher in Richtung unterirdisch ging. Eine Einschätzung, die zwei von mir animierte Bekannte nach ihrem Besuch vollumfänglich bestätigten. Langweiliges, billiges Asia-Food gibt es aber auch in Moabit an jeder Ecke, und noch einen Laden dieser Art braucht kein Mensch.

Endlich gibt’s in Moabit auch Labberfritten mit Silikongeschmack. Kosten auch nur 5,50

Abgehakt. Dann wäre da noch „The Poutine Kitchen“ was sich beim Besuch als etwas aufgepeppte Pommes-Bude entpuppt Angeblich ist das seit Jahren der Hit in der kanadischen Streetfood-Szene, aber solange ich nicht vor Ort war, glaube ich derartigen Aussagen ohnehin nicht. Und falls es stimmen sollte, kann man Kanada getrost aus der Liste der Kulturnationen streichen.

Die in einer Pappschale servierten Fritten werden mit quietschigen Würfeln gemischt, die in Konsistenz und Geschmack an Silikon-Dichtmasse erinnern. Angeblich soll es sich um Käse handeln. Und das ganze dümpelt in einer schwer definierbaren Bratensoße vor sich hin, die die ohnehin nicht sonderlich krossen Fritten allmählich aufweicht. Wer es etwas „edler“ mag, kann für einen Aufpreis noch Schweinefleischfasern (werden heutzutage “Pulled Pork” genannt), Hühnchenstücke oder Schinken dazu ordern. Diverse Soßen und Würzmittel ((Mayo, Ketchup, Chutney, Senf etc.) gibt’s auch dazu, aber damit ist dieses kulinarische Grauen auch nicht mehr aufzuhübschen. Es schmeckt wirklich furchtbar!

5,50 für die Basisversion (“Québec classic“) Fritten mit Quietschwürfeln und Soße sind zudem eine recht ambitionierte Preisgestaltung. Und auch auf die Idee, für ein kleines (0,3l) „Berliner Pilsner“, eines der schlechtesten Biere der Welt, 2,90 zu berappen, würde ich im Traum nicht kommen. Zumal es ein paar Meter weiter das großartige unpasteurisierte Pilsner Tankbier gibt – für den gleichen Preis.

In Kürze macht in dieser Hallenecke auch noch ein Serbe auf. Bin gespannt, ob aus dem gastromischen Doppel-Flop dann ein Dreifach-Flop wird, wie stets begleitet von eingesprungenen verbalen Jubelpirouetten des Hallenmanagers.

Aber alles nicht so schlimm. Solange es in der Halle noch Geschäfte, Imbisse und Restaurants mit anständigem Angeboten gibt, ist sie nicht nur für Touristen und diverse Mafia-Clans, die sie manchmal komplett buchen, sondern auch für Moabiter einen Besuch wert.

Die „Wild Romance“ glimmt nur noch

Früher war alles besser. In jedem Dezember kamen einige wahnsinnige Holländer nach Berlin, um den altehrwürdigen Jazzclub „Quasimodoi“ für fünf Tage in eine dampfende Rock’n'Roll-Hölle zu verwandeln. Vollgeknallt mit Drogen verschiedener Art spielten und sangen die Jungs und Mädels buchstäblich um ihre Leben und versetzten ihre Jünger in rauschhafte Zustände. So manch einer, der sich das mal alle fünf Tage hintereinander reingezogen hat, war hinterher ein anderer Mensch, und für die protestantische Logik des „Standorts Deutschlands“ nur noch eingeschränkt zu gebrauchen.

„Herman Brood&His Wild Romance“ nannte sich dieser Musik gewordene Irrsinn. Dass das nicht ewig so weitergehen wird, dass jeder Rock’n'Roll-Vulkan irgendwann verglüht, hat jeder geahnt, doch so gut wie möglich verdrängt. Nach gut drei Jahrzehnten des permanenten Exzesses dämmerte dem bekennenden Junkie Herman Brood, dass die Power aufgebraucht ist. Die Drogen drohten ihn umzubringen, aber ohne Drogen ging das alles überhaupt nicht mehr. Also bestieg er am 11.Juli 2001 auf das Dach des Hilton Hotels in Amsterdam und machte den Abflug. Schon mehr als 20 Jahre zuvor hieß es in einem seiner bekanntesten Songs („Rock:n:Roll Junkie“) :“When I do my suicide for you/ I hope you miss me too“.

Natürlich haben wir ihn vermisst, und vermissen ihn noch heute. Doch die „Wild Romance“ ist offenbar nicht totzukriegen. Und so haben sich die beiden Gitarreros, die Herman auf seinem langen Weg durch die Rock’n'Roll-Hölle begleitet haben, aufgemacht, sein Vermächtnis zu pflegen und alte und neue Jünger auf den richtigen Pfad der Erkenntnis zu führen.

Auch Dany Lademacher (der eigentlich Belgier ist) und David Hollestelle sind vollkommen wahnsinnig, aber sie haben überlebt. Beide sind mittlerweile jenseits der 60, und alleine das ist eine große Leistung.

Das „Quasimodo“ ist inzwischen schicker, und wird von einem großen Veranstaltungskonzern bespielt. Und natürlich darf man drinnen mittlerweile nicht mehr rauchen, geschweige denn kiffen. Außerdem blieb vor dem Besuch des „Wild Romance“-Konzerts am Freitag die bange Frage, ob es sich nur um ein albernes, abgefucktes Revival oder um einen würdigen Exzess im Geiste Hermans handelt.

Herman Brood ist seit über 16 Jahren tot. Aber seine Musik lebt – ein bisschen

Das Interesse an dieser Frage hält sich offenbar in engen Grenzen. Nicht einmal hundert Fans fanden den Weg in den aufgehübschten Kellerklub. Was sie erlebten, war eine ziemlich gute, aber nicht besonders originelle Rockband mit satten Gitarrensounds, einem straighten Bassisten ,einem leider etwas schläfrigen Drummer, einem lustigen Keyboarder und einem Leadsängerm, der dankenswerterweise gar nicht erst versuchte, wie Hermann zu klingen. Edgar Koelemeijer machte seine Sache recht gut, aber der nackte Wahnsinn, das Getriebene und die Morbidität eines Hermann Brood ist weder zu kopieren, noch zu ersetzen. Natürlich gab es ein paar Highlights, besonders wenn Lademacher und Hollestelle mal so richtig in die Seiten griffen. Das hat dann Spaß gemacht, zumal wir genremäßig angemessen unseren THC- und Alkoholspiegel stetig auf einem gewissen Niveau einpegelten.

Ziemlich abgezockt spielten „Wild Romance“ ihre zwei recht kurzen Sets herunter und man erinnerte sich etwas wehmütig an magische Quasimodo-Nächte in den 80er und 90er Jahren, als diese wahnsinnigen Holländer und allen voran Herman einem drei Stunden oder länger das Hirn leerpusteten

Und so bleiben folgende Erkennisse: 1.) Alles hat seine Zeit, ist irgendwann vorbei und nicht umfassend reproduzierbar. 2.) „Wild Romance“ ohne Herman sind letztendlich eine Coverband ihrer selbst , aber 3.) „Wild Romace“ ist eine gute Rockband , und das ist heute schon Einiges wert. Bleibt noch 4.) Ordentlich kiffen ist manchmal gar nicht so schlecht.

Nochmal richtig durchgepustet

Wenn schon Bebob, dann auch bitte1schwarz-weiß. Auch Till Brönner….

…und Greg Tardy mischten bei der Monk-Party kräftig mit

Der Arrangeur uns Komponist John Beasley rief, und alle kamen zur großen Party, die es am Sonntag zum Abschluss des Berliner Jazzfestes zu zelebrieren gabt. Schließlich galt es in diesem Jahr sowohl den 100. Geburtstag des Bebop-Pioniert Thelonious Monk als auch das Ende der dreijährigen Ära Richard Williams als Leiter des Festivals zu feiern, Beasley und sein MONK’estra erledigten diese Aufgabe locker, souverän und mit ungebremster Spielfreude. 12 Bläser plus Rhythmusgruppe bewiesen eindrücklich, dass diese „alte“ Jazzepoche mit ihrer komplexen Funktionsharmonik nebst ekstatischen Soli noch lange nicht vorbei ist. Und wohl auch nie vorbei sein wird. Vor allem, wenn man sie so pflegt, wie wie das Beasleys BigBand am Sonntag demonstrierte. Und auch der „Stargast“ Till Brönner an der Trompete bewies erneut, dass er eben nicht nur „Schmusejazz“ kann. Obwohl er das eigentlich schon lange niemandem mehr beweisen müsste. Mit durchgepustetem Kopf wurde man in das Berliner Schmuddelwetter entlassen. Was will man eigentlich mehr.

Am frühen Nachmittag hatte das Jazzfest an einem eher bedrückenden Ort Station gemacht. Denn vor gut einem Jahr war der Vorplatz Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Schauplatz eines montrösen Verbrechens. Ein Terrorist lenkte einen LKW auf hoher Geschwindigkeit auf den dortigen Weihnachtsmarkt, tötete 12 Menschen und verletzte viele weitere schwer. Nicht nur die anschließend um den Platz errichteten Betonsperren und die improvisierte Gedenkstätte machen jedem, der dieses Areal betritt, deutlich, dass sich in unserem Alltagsleben etwas geändert hat, auch wenn Politiker nicht müde werden, das Gegenteil zu behaupten. Bedrückend auch, weil die Hintergründe des Attentats und die Verwicklungen deutscher Geheimdienste in das Geschehen bis zum heutigen Tag nicht aufgeklärt wurden.

Es wurde ein ruhiges, fast besinnliches Konzert. Der britische Pianists und Organist Kit Downes bediente die fantastische Schuke-Orgel mit ihren 5000 Pfeifen und 256 Registern in der sakralen Akkustik behutsam und respektvoll mit einer Mischung aus weichen, offenen Harmoniefolgen und perlenden, freien Melodiebögen. Nur kurz konnte er der Versuchung nicht widerstehen, das „Presslufthammer-Register“ für die tiefsten Bässe zu ziehen.

Ihn folgten die „Trondheim Voices“ ein achtköpfiges Vokalistinnen-Ensembe aus Norwegen, dass durchgehend improvisiert und die menschliche Stimme als Impulsgeber für allerlei elektronische Verfremdungen nutzt, die auf die jeweilige Räumlichkeit abgestimmt werden. Die sphärischen Soundkollagen bewegten sich irgendwo zwischen Fantasy, Esoterik, Troll- und Elfengeschichten, was in diesem Fall keineswegs negativ oder abwertend gemeint ist. Den Besonderheiten des Ortes und seiner jüngeren Geschichte entsprach es jedenfalls voll und ganz.

Nun ist es also vorbei, das Berliner Jazzfest. Williams hat den notwendigen Spagat zwischen Traditionspflege und immer währender Suche nach neuen Formen erneut souverän gemeistert, Mit Haltung und ohne Anbiederung . Er hat das Fest auch weiter in Richtung Club- und Kammerkonzerte geöffnet. Sein – noch nicht bekannter -Nachfolger darf ein gut bestelltes Feld beackern und wird wissen, dass er in ziemlich große Fußstapfen tritt.

Zum Abschluss eine kleine Randbermerkung zum Thema GEZ und das ewige Gejammer über „Zwangsabgaben“ und „Staatsrundrunk“ Die ARD ist der wichtigster Kooperationspartner des Berliner Jazzfestes. Der Deutschlandfunk bzw. die Kulturwellen der Landesanstalten übertragen die Hauptkonzerte täglich live und erwerben zudem Senderechte für die meisten Mitschnitte, auch von den „Nebenkonzerten“ in Clubs. Dazu kommt die intensive journalistische Begleitung des Festivals. Ferner leisten sich noch vier Sender der ARD eigene BigBands, allesamt hervorragende Klangkörper mit internationaler Reputation, die auch regelmäßig Gäste des Jazzfestes sind.

Das alles kostet viel Geld und wäre aufgrund der relativ geringen Reichweite und Werbeaffinität von Jazzkonzerten wohl kaum ohne gebührenfinazierten Rundfunk zu realisieren.

Natürlich kommt jetzt der Einwand „Ich höre keinen Jazz, warum soll ich dafür zahlen?“ Doch zu soviel Dummheit und Kleingeistigkeit fällt mir nichts mehr ein.

Michael Wollnys magische Wanderungen

Wenn ein Jazzkonzert seit Wochen ausverkauft ist und sich am Abend noch lange Schlangen vergeblich nach Karten suchender Musikfreunde bilden, dann muss es sich um ein ganz besonderes Ereigbis handeln. Wobei derartige Vorschusslorbeeren wahrlich nicht immer ein Indikator für die tatsächliche Erlebnisqualität sind.

Am Freitag im Festspielhaus allerdings schon. Denn was Michael Wollny bei einem seiner seltenen Solokonzerte darbot, bleibt lange haften. Von der ersten im Korpus des Flügels gezupften Tönen bis zur Zugabe mit einem Werk eines finnischen Komponisten nimmt der bekennende Roamtiker Wollny seine Hörer mit auf eine Klangreise durch seinen schier unerschöpflichen Kosmos. Epochen und Stile spielen für Wollny, der sich nach seinen Debütalben Anfang des Jahrtausends inzwischen zum wohl wichtigsten europäischen Jazzpianisten entwickelt hat, anscheinend keine Rolle mehr. Gleich Perlenschnüren flirren schwerelose Skalen über zweitlose Harmonien und entladen sich bisweilen in mächtigen Klangewittern oder münden sphärischen Annäherungen an andere Welten. Wollnys Musik wird in solchen Momenten zum Gegenstück zum Stummfilm. Der bietet Bilder ohne Ton, bei ihm gibt es Filme ohne Bilder, außer denen im Kopf. Man war traurig und fast entsetzt, dass diese faszinierende Reise bereits nach einer Stunde beendet war. Und man darf froh sein, daran teilgenommen zu haben.

Nach so einem Erlebnis ist man für einige Zeit kaum noch zu erschüttern. Auch nicht von dem nach der Pause folgenden Auftritt des Sextetts des im Programmheft als „einer der herausregenden Jazzmusiker des 21. Jahrhunderts“ angepriesenen Tromperters Ambrose Akinmusire. Eigentlich sprach alles für ein gelungenes Konzert. Die Band ist hochkrätig besetzt, unter anderem mit Gerald Clayton am Piano und Joe Sanders am Bass, zwei mit allen Wassern gewaschene Säulen des zeitgenössischen Jazz, Auch die Idee des Werks leuchtete ein. Das Hauptstück gruppierte sich um Tonaufnahmen einer afroamerikanischen Gefangenen im Staatsgefängnis von Missisippi aus dem Jahr 1939, die dort tmit raurig.trotzigem Blues zuhören ist. Umso enttäuschender, dass mAkinmusire und seine Mitstreiter daraus nicht mehr als gespflegte Langeweile machten. Eine uninspirierte Darbietung, voller klischeehafter Versatzstücke aus der Blues- und Jazzgeschichte.Aber das Glücksgefühl über das Wollny-Erlebnis hätte an diesem Abend nicht einmal die untentiertierte Jugendabteilung des Fanfarenzuges der Freiwilligen Feuerwehr von Wanne-Eickel trüben können.

Avantgarde als Staubfänger

Ohne politisches Statement geht heute kaum noch was. Und so widmete Richard Williams, der künstlerische Leiter der Berliner Jazzfestes, die diesjährige Ausgabe auch der Refletion einer „Welt, in der tagtäglich Mauern errichtet und Grenzen befestigt werden“ statt „im Geiste von Offenheit und Inklusion zusammenzunarbeitern“. Na denn….

Zwei Klubkonzerte in der gut eingeführten Kreuzberger Party-Location Lido eröffneten diesmal das Festival. Doch für die meisten Besucher war das erste Konzert auf der Hauptbühne im Haus der Berliner Festspiele der „eigentliche“ Beginn. Hier sitzen dann die, die immer hier sind, und dabei natürlich auch immer älter werden. Doch auf die Bedürfnisse eines Seniorentreffens war das Programm nicht unbedingt zugeschnitten.

Tyshawn Sorey in seinem mobilen Spielzimmer

Was nicht heißt, dass das Tysham Sorey Trio zu avantgardistisch daherkam. Im Gegenteil; die drei erkennbar mit ihren Instrumenten (Piano, Bass, Drums nebst allerlei Schlagwerk) bestens vertrauten Herren zelebrierten wenig mehr, als das mittlerweile reichlich angestaubte Avantgarde-Spektakel: Peng, Zirp, Schab, Fiep, Crash, Donner, KlängKläng. Was im Programm als „radikal“ oder „Suche nach neuen Wegen“ bzw. „Klangräumen“ angepriesen wurde, war schon in den 1980er Jahren in einer bestimmten New Yorker Club-Szene fast Mainstream. Ja, man kann dabei auch Strukturen erkennen oder wenigstens erahnen. Doch irgendwie ist das mehr Klangerzeugung als Musik. Dass es auf dem Berliner Seniorentreffen nicht sonderlich gut ankam, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

Anschließend führte der norwegische Komponist, Arrangeur und Dirigent Geir Lysne mit der von ihm geleiteten NDR-Bigband seine Suite „Abstracts from Norway“ auf, eine Art Hommage an das reichhaltige Schaffen norwegischer Jazzmusiker in den vergangenen Jahrzehnten. Eine äußerst gut gelaunte und ausgesprochen rockige norwegische Rhythmusgruppe trieb die gewohnt präzisen Bkäser der Bigband durch ein gefällig-gefühliges Programm zwischen Balladen und Midtempo-Jazz-Rock-Stücken. Nur der Gitarrist Eivind Aarset beschäftigte sich allzu intensiv mit seinen Soundeffekten, statt mal richtig loszuknacken. Gepflegte, nein, seeehr gepflegte Abendunterhaltung mit einem Bandleader Lysne, der sich zwar bisweilen wie ein bekiffter Solotänzer in einer psychedelischen Diskothek in den 1970er Jahren bewegte, aber musikalisch eigentlich wesentlich mehr im Köcher hat, als diese Suite. Was nicht heißen soll, dass es nicht doch irgendwie sehr angenehm und schön war.

Der Preis des billigen Weines

Der folgende Artikel erschien am Freitag in „Neues Deutschland“ und ist online nur für Abonnenten verfügbar

Wein aus Südafrika erfreut sich in Deutschland seit vielen Jahren wachsender Beliebtheit. Die Importmenge hat sich seit dem Jahr 2000 verfünffacht. Die vor allem aus den weltweit beliebten Rebsorten Cabernet Sauvignon und Chardonnay sowie der einheimischen Kreuzung Pinotage gewonnenen Rot- und Weißweine weisen ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis auf und werden daher von allen großen Discounter- und Supermarktketten angeboten. Also jenen Einkaufsstätten, in denen über 75 Prozent aller Weine in Deutschland angeboten werden. Die Preise liegen in der Regel zwischen 1,59 und 2,79 Euro pro Flasche, in dem mit Abstand größten Preissegment im deutschen Weinhandel. Die Konkurrenz ist hart, denn in diesem Segment tummeln sich besonders bei Rotweinen auch Großproduzentenaus Frankreich, Spanien, Italien und fernen Anbaugebieten wie Chile, Australien und Kalifornien, die aufgrund eines hohen Mechanisierungsgrades sehr günstig produzieren können. Höhere Preise sind daher von den Produzenten nicht durchzusetzen, da die großen Kellereien und Handelsketten als wichtigste Marktakteure jederzeit auf Alternativen zurückgreifen können. Denn weltweit werden pro Jahr im Durchschnitt30 Millionen Hektoliter mehr Weinproduziert als verkauft.Was die Handelskonzerne und die Verbraucher freut, bedeutet für die Landarbeiterinnen und Landarbeiter in Südafrika extreme Ausbeutung bis hin zu Formen der modernen Sklaverei.

Trotz internationaler Unterstützung durch entwicklungspolitische, kirchliche und gewerkschaftliche Organisationen, ist es bislang nur punktuell gelungen, den menschenunwürdigen Zuständen auf den riesigen Weinplantagen Einhalt zu gebieten. Auf einer unter anderem von Oxfam organisierten Rundreise durch mehrere deutsche Städte berichteten Betroffene eindringlich über ihre Erfahrungen.»Wir sind vollkommen rechtlos. Oftmals bekommen wir nicht mal den gesetzlichen Mindestlohn.Wenn wir krank sind, bekommen wir überhaupt kein Geld«, schilderte die Landarbeiterin Marai Balie die Lage bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung inBerlin. Auf vielen Plantagen gebe es kaum oder gar keine sanitären Einrichtungen, auch die medizinische Versorgung sei vollkommen unzureichend. Die Arbeitstage dauerten oftmals 12 Stunden und mehr, und dies unter katastrophalen Bedingungen. So würden regelmäßig gesundheitsgefährdende Pestizide eingesetzt, ohne dass die Arbeiter Schutzkleidung erhielten. »Und wer dagegen protestiert, muss damit rechnen, einfach entlassen zu werden«, so Balie weiter. Die Plantagenbosse verwiesen dann auf unzählige bitterarme Zuwanderer, vor allem aus Lesotho, die den Job jederzeit machen würden, ohne sich zu beschweren.

Zwar gibt es in Südafrika seit 2006 die unabhängige Landarbeitergewerkschaft CSAAWU, aber »wir sind nach wie vor viel zu schwach, um dieser extremen Ausbeutung flächendeckend etwas entgegenstellen zu können , so ihr Vertreter Karel Swart. Die alten Machtverhältnisse zwischen weißen Bossen und schwarzen Arbeitern, aber auch zwischen Männern und Frauen seien »noch immer tief in den Köpfen der Menschen verankert«. Da auf den Plantagen hauptsächlich saisonal beschäftigte Wanderarbeiter tätig sind, sei die Organisierung »extrem schwierig«.Dennoch sei es vor allem nach punktuellen Landarbeiterstreiks in den Jahren 2012 und 2013 gelungen, die Vernetzung voranzutreiben und Kontakte in allen Landesteilen aufzubauen. Aber dies sei nach wie vor sehr gefährlich, denn die Bosse würden rigoros gegen die Gewerkschaft vorgehen,»und von der Regierung können wir auch keine Hilfe erwarten«, so Karel Swart. Denn die sorgt sich vor allem um den boomenden Agrarexport, bei dem Wein eine wichtige Rolle spielt. Sonderlich profitabel ist dieser Sektor trotz extremer Ausbeutung allerdings nicht, die meisten Farmen werfen nurwenig Gewinn ab.

Das liegt vor allem an der Wertschöpfungskette, die von den Abnehmern dominiert wird. 14 Cent erhalten die Farmer im Schnitt für ein Kilo Trauben, das in Südafrika gekeltert und vinifiziert wird. Über 80 Prozent dieser Weine gehen dann als Tankware in großen Containern in den Export, davon 15 Prozent nach Deutschland. Die hiesigen Großkellereien zahlen für füllfertige, qualitativ einwandfreie Weine je nach aktueller Marktlage zwischen 40 und 80 Cent pro Liter, die Preise sind binnen zehn Jahren um fast 50 Prozent gefallen. Die Kellereien verschneiden die einzelnen Partien anhand der von den Ketten vorgegebenen Geschmacksprofile, füllen sie ab und etikettieren sie, oftmals in Chargen von mehreren Millionen Litern. Würden die Flaschen in Südafrika abgefüllt werden, verbliebe ein deutlich höherer Anteil des Endverbraucherpreises im Land und auch bei den Plantagenbesitzern. Für Trauben,die für den Flaschenexport vorgesehen sind, erhalten sie in der Regel 30 Cent pro Kilo, also doppelt so viel wie für die Tankware.

Doch extreme Ausbeutung auf Wein- und anderen Obstplantagen ist auch in Europa weiterhin auf dem Vormarsch. Ivan Ivanov vom Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen (EMWU) verweist auf Millionen syrische und andere Flüchtlinge und Wanderarbeiter in der Türkei und in südeuropäischen Regionen wie Apulien. Durch ihren Einsatz würden »alle bislang erreichten Standards kaputt gemacht« und zudem Ressentiments gegen Flüchtlinge geschürt. Ivanov fordert daher die Kopplung sämtlicher Agrarsubventionen in Europa und Hilfsgelder für andere Staaten an die Einhaltung von verbindlichen Mindeststandards für Landarbeiter.

Die in dieser Frage engagierten Organisationen sehen zwei Handlungsstränge. Zum einen müsse die internationale Solidarität mit den vor Ort gegen die Missstände kämpfenden Gewerkschaften intensiviert werden, so Simone Knapp von der kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA). Oxfam will indes vor allem Druck auf die großen Kellereien und Handelsketten ausüben, endlich Verantwortung für die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen auf den Weinplantagen zu übernehmen. Dabei sei auch die Bundesregierung in der Pflicht. Diese müsse Importeure und Handelsketten auf gesetzlichem Wege verpflichten, »dafür zu sorgen, dass Menschenrechte in deren Lieferketten geachtet werden«, heißt es in einem Thesenpapier zur Rundreise der südafrikanischen Plantagenarbeiter. Diese Sorgfaltspflicht umfasse auch »die Zahlung fairer Preise und das Einhalten fairer Handelspraktiken«.Denn auf den an Billigweine aus Südafrika gewöhnten deutschen Verbraucher setzt man wohl wenig Hoffnungen

 

FCK AFD reicht nicht!

Deutschland hat gewählt, und überraschend ist das Ergebnis nun wirklich nicht. Die großen Verluste der SPD waren ebenso absehbar, wie das Ergebnis der AfD. Erstaunlich waren eher das relativ gute Abschneiden der Grünen und das dramatische Abschmieren der CSU in Bayern.

Wie dem auch sei: Die Wahl spiegelt die gesellschaftliche Verhältnisse recht anschaulich wieder. Ein nationalkonservatives, antimodernes Lager nebst einem neofaschistischen Rand gab es in der Bundesrepublik zu jeder Zeit, auch in der Größenordnung des jetzigen AfD-Ergebnisses. Da vor allem die CDU/CSU ihre Bindungskraft für dieses Lager teilweise verloren hat, konnte sich eine Partei wie die AfD herausbilden und stabiliseren, wobei die Flüchtlingspolitik als Katalysator wirkte.Abgesehen von jenen AfD-Wählern, die sich bewusst für rassistische und neofaschistische Positionen entschieden haben, ist diese Partei vor allem eine Projektionsfläche für Unzufriedene verschiedener Couleur. Diese eher heterogene Masse – über fünf Millionen Wähler – zu mobilisieren war umso einfacher, da es bei dieser Wahl keinen erkennbaren fortschrittlichen Gegenentwurf zur herrschenden Politik und zur Agonie des „Merkel-Systems“ gab. Die SPD ist Teil dieses Systems und hat sich nicht einmal ansatzweise von den „Agenda 2010“-Fesseln befreit. Die Grünen dienten sich frühzeitig als Juniorpartner einer CDU-geführten Regierung an. Drängende soziale Fragen wie Kinder- und Altersarmut oder die immer dramatischere Lage auf dem Wohnungsmarkt wurden – wenn überhaupt – nur halbherzig und im Sprechblasenformat thematisiert. Die LINKE hat zu diesen Fragen zwar relativ klare programmatische Aussagen formuliert, wird aber -vor allem im Osten- auch als Teil einer abgehobenen politischen Klasse wahrgenommen. Zudem haben maßgebliche Teile der Partei quasi bis kurz vor Toresschluss an der Wahnidee eines „rot-rot-grünen Reformlagers“ festgehalten. Große Teile der Linken (also nicht nur der gleichnamigen Partei) haben bis heute a) nicht begriffen, dass es dieses Lager als mehrheitsfähige Option nicht gibt und b) nicht begriffen, dass die AfD und ihre Anhänger eben nicht nur ein monolithischer Haufen von ideologisch gefestigten Rassisten und Neonazis sind. Aber genau diese in linken Kreisen weit verbreitete Weltsicht hat dazu geführt, dass man eine Auseinandersetzung mit diesen Strömungen als unnütz und sinnlos einstuft bzw. auf die Ebene des „antifaschistischen Protestes“ reduziert.Willkommen in der Filterblase

FCK FDP

Auffällig an vielen linken Reaktionen auf das Wahlergebnis ist, dass zwar einhelliges Entsetzen über das Abschneiden der AfD herrscht, aber kaum jemand das zweistellige Ergebnis der FDP thematisiert. Denn die hat sich als ausgesprochen aggressive neoliberale und sozialdarwinistische Strömung neu formiert, deren Anliegen für die soziale und politische Verfasstheit der Gesellschaft ähnlich verheerend sind, wie die der AfD. Auch das ist maßgeblich der abnehmenden Bindungskraft der „sozialdemokratisierten“ Merkel-CDUgeschuldet.

Die sich anbahnende „Jamaika-Koalition“ ist Ausdruck der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Einer Mehrheit der Deutschen geht es ökonomisch relativ gut. Sie sind von den sozialen Verwerfungen nicht betroffen, weder von Armut, noch von prekären Arbeitsverhältnissen, noch von Wohnungsnot oder maroden Schulen.Sie wollen vor allem Besitzstände verteidigen und möglichst wenig Veränderung in ihrer individuellen Lebensführung. Sie stellen das kapitalistische System weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene in Frage, da sie davon profitieren. Auch für den nicht reaktionären, rassistischen und sozialdarwinistischen Teil dieser Mehrheit sind Armut und Flüchtlingselend eher karitativ zu lösende Fragen. Sie möchten vielleicht ein bisschen spenden, wenn genug für sie übrig bleib,aber keinesfalls die Verteilung von Ressourcen und Vermögen prinzipiell ändern.

Das heißt nicht, dass es innerhalb dieser Mehrheit nicht auch erhebliche Differenzen gibt,u.a. in Umwelt-, Bürgerrechts- und Genderangelegenheiten. Diese haben aber nicht das Potenzial, diese Mehrheit nachhaltig zu sprengen, zumal die Merkel-CDU in diesen Fragen eine erstaunliche Flexibilität an den Tag gelegt hat, siehe Atomausstieg und Ehe für Alle.

Auch die Anhänger der AfD gehören zu großen Teilen zu dieser gesellschaftlichen Mehrheit und setzen auf materielle und lebenskulturelle Besitzstandswahrung, wenn auch mit teilweise deutlich radikaleren Rezepten, übersteigertem Nationalismus und einer diffusen Antimoderne. Der derzeit in linken Kreisen gerne benutzte Vergleich mit dem Erstarken der NSDAP ist unhistorisch und in weiten Teilen absurd. Zumal das deutsche Kapital mit diesem Zeugs derzeit wenig anfangen kann.

Wer gegen wen?

Derzeit in aller Munde ist der „Schulterschluss aller Demokraten“ gegen die AfD. Eine eher gruselige Vorstellung, zusammen mit Agenda-Sozen, Flüchtlingsdealern,Waffenexporteuren, Neoliberalen, Umweltverbrechern, Rentenmarodeuren, Arbeitsmarktprekarisierern und global agierenden Ausbeutern in einer Reihe gegen die AfD und ihre Anhänger für „gemeinsame Werte“ zu streiten.

Ich gestehe allerdings ein, dass mich die Entwicklung im Osten relativ ratlos macht. Denn da scheint sich so etwas wie eine soziokulturelle Hegemonie der AfD zu entwickeln. Stärkste Partei in Sachsen und zweitstärkste in den anderen Ost-Bundesländern u8nd in Ostberlin ist eine deutliche Ansage. Da stellt sich die Frage von demokratischen Bündnissen sicherlich anders.

Doch auch wenn man die AfD und ihre teilweise offen rassistische und neofaschistische Rhetorik zu Recht zutiefst verabscheut, sollte man sich den Blick für die zentralen gesellschaftlichen Frontlinien nicht vollends trüben lassen. Wenn es um den Aufbau einer emanzipatorischen, radikaldemokratischen und sozialen gesellschaftlichen Gegenmacht geht, bringt es herzlich wenig, sich über Gebühr am Popanz AfD abzuarbeiten. Es ist allerdings verdammt bequem.

Dazu ein paar Beispiele. Die AfD will alleinerziehende Mütter gesellschaftlich diskriminieren.Genau das tun besagte „Demokraten“ schon seit Jahrzehnten,und zwar durch materielle Fakten und nicht mit Parolen. Die AfD will den Zuzug von Flüchtlingen radikal begrenzen. Das ist mittlerweile Konsens bei allen Parteien, mit Ausnahme von Teilen der LINKEN. Doch die aus dieser Richtung zu vernehmende Forderung nach „offenen Grenzen und Bleiberecht für Alle“ -bisweilen auch verknüpft mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen von 1050 Euro für alle hier lebenden Menschen- erscheint -vorsichtig formuliert – nur sehr wenig realitätstauglich.

Langweilig werden die kommenden Monate und Jahre sicherlich nicht. Schon die Koalitionsverhandlungen und die Regierungsbildung versprechen großes Kino. Lustig werden die kommenden Jahre allerdings auch nicht, denn der politischen Neujustierung des herrschenden gesellschaftlichen Blocks steht keine handlungsfähige gesellschaftliche Gegenmacht gegenüber. Darüber sollte jetzt vor allem geredet werden.

So geht Monteverdi

Wer wie die Kuratoren des Berliner Musikfestes stets die großen Linien und Zeiträume im Blick hat, kommt an Claudio Monteverdi nicht vorbei. Wie kein anderer Komponist seiner Epoche verkörpert der 1567 in Cremona geborene Komponist den Übergang von der Renaissance zum Barock. Besonders seine geistlichen und weltlichen Vokalwerke waren musikalische Quantensprünge, die rund 100 Jahre später auch den nächsten großen Innovator der Musikgeschichte, Johann Sebastian Bach, inspirierten.

Die ungewöhnliche Form eines Doppelkonzerts in zwei verschiedenen Räumlichkeiten sollte am Wochenende zusätzlich das Verständnis dieser Musik schärfen. Zum einen die streng polyphone Messe „In illo tempore“ mit sakraler, fast mystischer Wucht in der St.-Hedwigs-Kathedrale. Und anschließend die mit ein paar Instrumentalsätzen von Zeitgenossen aufgelockerte „Vespro della Beata Vergine“ (Marienvesper) in Berlins neuem Konzert-Kleinod, dem Pierre-Boulez-Saal.

Musikpädagogisch ist das sicherlich wertvoll, doch Spaß macht Musik in der Kathedrale nicht. Schon die Monteverdis Oper „Orfeo“ entnommene Eingangsfanfare verliert sich aufgrund der enormen Hallzeit in dem Kuppelbau und gerinnt zu einem schwer genießbaren Klangbrei. Das Ohr kapituliert alsbald beim Bemühen um differenzierte Wahrnehmung der fein verwobenen Chorstimmen und der instrumentalen Begleitung. Es schaltet auf Durchzug und freut sich, wenn es vorbei ist.

Umso eindrucksvoller dann die Fortsetzung um die Ecke im Boulez-Saal, der offensichtlich ein selten zu erlebendes Maß an klanglicher Präzision und Klarheit ermöglicht. Mit federnden, fast schon tänzelnden Bewegungen führt Justin Doyle den RIAS-Kammerchor und die Solisten durch die Marienvesper, die eher eine Sammlung von Psalmen und kleinen vocalen Concertos als ein in sich geschlossenes Werk darstellt und schließlich in ein betörendes, eindrucksvolles Magnificat mündet.

Geboten wird mehr als „nur“ ein Konzert, sondern eine Art Klanginstallation. Die Gesangssolisten agieren meistens abseits der Bühne auf dem halbrunden Gang oberhalb des Parketts und vermitteln einen Klangeindruck wie im heimischen Wohnzimmer. Dabei begeistern die beiden Sopranistinnen Dorothee Mields und Hannah Morrison mit ihrem glockenhellen, schwerelosen Stimmen ebenso wie die beiden Tenöre Thomas Hobbs und Andrew Staples, die sich mit Kraft und Klarheit wohltuend von jenen unzähligen Knödelbarden abheben. mit denen Alte Musik leider viel zu oft besetzt wird. Doch nicht nur die Solisten, sondern auch der Chor widersteht der Versuchung, Monteverdis Werk mit pseudo-barocker Wucht zu erschlagen und stellt die Transparenz der mit nahezu überschäumendem musikalischen Temperament gesetzten Stimmen in den Mittelpunkt. Fast mag man so etwas wie eine „englische Handschrift“ erkennen, die Justin Doyle, der neue Chefdirigent und künstlerische Leiter des RIAS-Kammerchors, in diese Aufführung eingebracht hat. Dass mit der Capella de la Torre ausgewiesene Spezialisten für Alte Musik auf historischen Instrumenten für Begleitung und Umrahmung der Marienvesper sorgten, war dann noch ein weiteres begeisterndes Detail dieses großen Konzerts.

Mir der neuen Konzertstätte und dem neuen Chorleiter hat die Berliner Kulturszene jedenfalls beträchtlich gewonnen. Man bekommt gewaltigen Appetit auf mehr. Und das kann man ja nun wahrlich nicht von allen „Innovationen“ der Berliner Kulturpolitik behaupten.