Am Sonntag hatte ich ein Erweckungserlebnis. Gegen 16 Uhr 15 breitete der schwedische Keyboarder Martin Hederos in der Berliner Akademie der Künste einen jener fies-genialen langsamen Rock-Grooves aus, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen und gleichzeitig einen heftigen Adrenalinstoß auslösen Vor allem wenn sie so layed-back und dann auch noch mit schweineorgelmäßig geilem Fender-Rhodes-Sound gespielt werden. Derweil schickte sich seine Kollegin Mariam Wallentin an, dazu zu singen. Und dann hörte ich – Grace Slick!! Die (neben Janis Joplin) wichtigste Vokal-Ikone der Hippie-Zeit singt zwar seit gut 20 Jahren nicht mehr, aber am Sonntag hörte ich sie.
Weiter, weiter, immer weiter. Mats Gustavsson als Brandbeschleuniger beim “Fire!Orchestra”.
© Micke Keysendal
Doch das Fire!Orchestra hatte noch viel mehr zu bieten. Dirigiert, – oder besser: irgendwie gesteuert – von dem Saxophonisten Mats Gustavsson ließen die 27 Musiker – man muss es wirklich so sagen – die Sau raus. Mächtige Bläsersätze, wilde freie Attacken, rhythmische Amokläufe und damit keine Gemütlichkeit aufkommt, immer wieder gemeine elektronische Noise-Passagen: Fiep, Knatter, Brizzel. Wäre gar nicht nicht nötig gewesen, denn die zweite Sängerin Sofia Jernberg bekam reichlich Gelegenheit zu demonstrieren, dass das auch ohne Elektronik geht. Und als man sich in der einen oder anderen Art und Weise ausgetobt hatte, war Hederos wieder mit dem fiesen Groove zur Stelle.
Das war roh, das war destruktiv, das war laut, das war gemein. Aber vor allem war es großartig. Hier wurde nicht “zwischen Tradition und Moderne” operiert oder mit “verschiedenen Stilementen” gearbeitet, wie in albernen Konzertankündigungen oft zu lesen ist. Hier wurde der Rote Festivalfaden “Freiheit” mit Inhalt gefüllt. Es war der Soundtrack zum Wahnsinn in der Welt samt der schnörkellosen Botschaft, wie man damit umgehen kann. Und vor allem war es – Jazz!
Die Beurteilung der weiteren Konzerte des letzten Jazzfest-Tages überlasse ich gerne anderen. Ich habe mir zwar den exzellenten Pianisten Jason Moran mit seinem Trio “The Bandwagon” und auch die folgende Dancehall-Variante dieser Musik angehört. Aber das “Fire!Orchestra” war einfach zu nachhaltig, um da noch irgendwie eintauchen zu können.
Wie gesagt: Jetzt ist Schluss. Daher ein kurzes Fazit. Ein gutes, aber kein “großes” Jazzfest, zumal es im Vorfeld wegen des runden Geburtstages mit großen Erwartungen überfrachtet wurde. Einige Flops, mit der unsäglichen “Freedom Songs”- Produktion der WDR-BigBand und dem schrecklichen Sänger Kurt Elling an der Spitze. Auch das dumpfe Hardrock-Gedöns vom Hedvig Mollestad Trio war vollkommen daneben. Auf der Habenseite (jedenfalls für mich): Ein unangestrengt – unperfekter Auftritt voller kleiner Perlen von Elliott Sharps Band mit seinem “Tribute to Martin Luther King”-Programm. Eine erfrischende Jazzrock-Variante von Get The Blessing. Ein hellwacher, nimmermüder Jazz-Grandseigneur wie Daniel Humair mit feinem Klanggespür und anbiederungsfreier Offenheit für folkloristische Elemente. Und natürlich das “Fire!Orchestra!, aber das erwähnte ich ja bereits.
Bert Noglik geht, neuer künstlerischer Leiter wird der britische Musik- und Sport(sic!)journalist Richard Williams. Der kündigte für sein Wirken schon mal “Provokationen” an. Klingt gut, und daher freue ich mich auf das Jazzfest 2015.