Immer noch stahlig: Die Saar

 Wer in Saarbrücken in die Regionalbahn in Richtung Trier steigt, bekommt die Struktur der Region im Zeitraffer präsentiert. Zunächst durchquert man entlang der Saar eine Art Industriemuseum, das an die Zeiten erinnert, als das Saarland noch ein bedeutender Bergbau- und Stahl-Standort war. Kurz vor der Mettlacher Saarschliefe verfliegt dann der morbide Charme von Orten wie Dillingen und Völklingen. Und kurz danach beginnt bei Serrig eines der wohl faszinierendsten Weinbaugebiete der Welt. Hier entstehen in den Steillagen entlang des Flusses auf kalkfreiem Devonschiefer Rieslingweine, die so mineralisch ausfallen, wie in kaum einer anderen Region. Das 400 Millionen Jahre alte Gestein verwittert sehr leicht, wird im Grundwasser gelöst und von den Reben aus dem Boden aufgenommen.

Zwar ist das Gebiet weinrechtlich der Mosel zugeordnet, doch die Eigenständigkeit ist unverkennbar. Die Saar liegt deutlich höher, dass Flusstal ist enger, die Temperaturen sind niedriger. Diese mikroklimatischen Bedingungen führen zu einer eigenen Stilistik der Saar-Weine, die von recht hohen Säurewerten geprägt sind. Im Zusammenspiel mit den steinig-mineralischen, oft auch als “stahlig” bezeichneten Noten, der langsamen Reife und entsprechend ausgeprägten Aromen sind es vor allem so genannte halbtrockene oder auch fruchtsüße Weine, die ein unnachahmliches Spiel am Gaumen entwickeln. So wirken viele Weine mit beträchtlichem Restzucker  alles andere als süß und auch bei sehr niedrigen Alkoholgehalten sowohl filigran als auch füllig. Weiterlesen

Temporärer Fußballwahn: Vielleicht hilft Saar-Riesling

 Eine komische Woche. Alles versinkt im temporären Fußballwahn, selbst in meiner eigentlich ganz erträglichen Eckkneipe „Zum Stammtisch“ hängen mittlerweile rund ein Dutzend Deutschlandfahnen. Die Öffentlichkeit erscheint ansonsten recht abgestumpft. Es scheint niemanden sonderlich aufzuregen, dass einer der wichtigsten Planer des künftigen Flughafens in Berlin schlicht ein Hochstapler war, den offenbar niemand nach seiner beruflichen Qualifikation gefragt hatte. Im Irak ist ein regelrechter Krieg ausgebrochen: So what, morgen spielt Deutschland. Prominente Politiker der Linken wollen auch ein bisschen Krieg mitmachen, um der SPD und den Grünen ins Gesäß kriechen zu dürfen: Egal, Hauptsache die Schulter von Manuel Neuer hält. Weiterlesen

Schock in der Abendstunde: Judenhass reloaded

 Gestern abend habe ich überraschend Besuch bekommen. K. war in der Gegend unterwegs und hat einfach mal geklingelt. Ich freute mich , denn ich hatte sie lange nicht gesehen. Auf dem Balkon kredenzte ich ihr dann einen frisch gepressten Saft und wir plauderten ein wenig. K. ist Künstlerin, Yoga-Lehrerin, Heilpraktikerin und eine sehr gebildete, lebenserfahrene Frau. Trotz ihrer Affinität zu esoterischen Lehren hat sie sich Interesse und einen klaren Blick für die politische und gesellschaftliche Realität eigentlich immer bewahrt.

In den vergangenen Monaten hatten wir gelegentlich via Facebook kommuniziert, wobei ich auch ihre – aus meiner Sicht naive – Unterstützung der neuen “Montags-Friedensmahnwachen” kritisierte.

Jetzt redeten wir auch darüber, und ich äußerte meine Eindrücke und Bedenken, vor allem das Auftreten von Rechtspopulisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten bei diesen Mahnwachen betreffend.

Das löste bei K. eine mittlere Explosion aus. Den weiteren Verlauf des Gesprächs – es war eher ein nur durch kurze Einwürfe meinerseits unterbrochener Monolog – fasse ich in Stichworten zusammen.

- rechts oder links ist egal, Hauptsache für den Frieden

- Die Juden sind selber Schuld an ihrer Ablehnung, da sie in Palästina Verbrechen begehen.

- Die Juden haben zu viel Macht und Einfluss, das sieht man schon an den großen Banken, die ja meistens Juden gehören.

- Die Juden benutzen den Holocaust als Moralkeule, um ihre eigenen Verbrechen zu rechtfertigen.

- Der Holocaust ist lange her, doch jetzt sind es die Juden, die Verbrechen begehen.

- Was die Juden in Palästina machen, ist dasselbe, was die SS gemacht hat.

- Der jüdische Staat ist “ultrafaschistisch”.

- Natürlich habe sie eigentlich gar nichts gegen Juden, aber……….

Mir hat es dann gereicht, ich habe sie gebeten zu gehen. Das hat durchaus weh getan, denn ich kenne sie schon sehr lange: Sie ist meine Schwester. Manchmal macht das Leben ziemlich wenig Spaß.

 

Abschied vom Bach-Modus – der Irrsinn wartet (und guter Rosé)

 Ich bin schon am Montag aus Leipzig zurück gekommen. Doch das Bachfest hat noch einige Tage nachgeklungen. Sei es der glockenhelle Sopran von Ruth Holton, die sich scheinbar mühelos durch ein anspruchsvolles Liedprogramm von Bach bis Haydn bewegte. Oder die deutsch-polnische Orchesterakademie, ein Projekt mit 13-19jährigen Musikschülern, welches die spezifischen Spielweisen für Alte Musik beeindruckend beherrschte und einem die Angst vor der Zukunft dieses Genres ein wenig nimmt. Die drei Tage haben mich jedenfalls begeistert und auch meinen Kopf freigespült. Denn Bach ist frische Luft für die Seele.

Bis nächstes Jahr, Johann Sebastian

 Der Bach-Modus wird jedenfalls allmählich abgeschaltet. Schließlich gibt es für mich als Politik- und Wein-Journalisten genug wunderliche Dinge zu beobachten und zu bearbeiten. Und auch der Alltag hat in Zeiten einer Fußball-WM einiges zu bieten. Weiterlesen

Bachfest Leipzig-Special II: Was man überhören muss

 Wenn man auf dem Bachfest Leipzig einen Gottesdienst besucht, der musikalisch vom Gewandhausorchester, dem Thomanerchor und großartigen Solisten gestaltet wird, geht man eine Art Deal ein. Man bekommt die Musik gratis präsentiert, muss ich dafür aber auch die „Werbeeinblendungen“ der evangelischen Kirche anhören. Auf die bin ich im Moment besonders schlecht zu sprechen, nachdem ihr prominentester Pfarrer, der derzeit als Bundespräsident agierende Herr Gauck, die Deutschen vor ein paar Tagen auf mehr Kriegseinsätze der Bundeswehr eingeschworen hat.

Susanne Krumbiegel und die Thomaner auf dem Marktplatz

Man muss das halt ausblenden, wenn man auf dem Marktplatz am frühen Sonntag das Magnificat D-Dur von Johann Sebastian Bach geboten bekommt. Und das fällt auch leicht, wenn man der unglaublich klaren Stimme der Mezzosopranistin und Altistin Susanne Krumbiegel lauscht. Weiterlesen

Bachfest-Special: Die „Wahre Art“

  Es ist wohl einer jener Momente, die es nur auf dem Bachfest in Leipzig gibt. Auf der Bühne auf dem historischen Marktplatz groovt sich am Freitag abend das LeipJAZZig-Orkester durch einige Themen von Johann Sebastian Bach. Schließlich betritt Martin Petzolddie Bühne, ein Star-Tenor der wenige Stunden zuvor noch beim Eröffnungskonzert des Festivals in der Thomaskirche aufgetreten war.

Das Bachfest Leipzig geht auch auf den Markt

Doch hier kosten die Karten nicht bis zu 102 Euro, vielmehr ist umsonst und draußen angesagt. Pätzold singt Rezitativ und Arie aus einer Kantate. „Heuchler, die von außen schön,können nicht vor Gott bestehn“ schallt es über den Platz, zwischendurch improvisiert ein Gitarrist im Stil von John Scofield über das Thema und Petzold lässt sich sichtbar beseelt von der Band durch diese Demonstration der Zeitlosigkeit spätbarocker Kantaten Bachs tragen. Großartig! Weiterlesen

Ich schalte langsam in den Bach-Modus um

 Es ist wieder so weit. Wie in jedem Jahr verlasse ich für ein paar Tage Berlin, um das Bachfest in Leipzig zu besuchen. Bachs Musik ist ist Seelenhygiene, besser als jeder Wellness-Urlaub oder esoterischer Workshop. Ich ignoriere für einige Tage weitgehend den alltäglichen politischen Wahnsinn und lasse mich einfach in diese Musik und in die ganze Atmosphäre fallen.

Es hat lange gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass die Phase, in der Johann Sebastian Bach von 1722 bis zu seinem Tod 1750 als Thomaskantor in Leipzig wirkte, zu den Dreh- und Angelpunkten der europäischen Musikgeschichte gehört. Nicht nur seine großen Messen und Kantaten, sondern auch seine Instrumentalwerke eröffneten neue harmonische Horizonte und wurden nach einer langen Phase des Nichtverstehens zur Inspirationsquelle für Komponisten späterer Epochen, bis hin zur neuen Musik und zum Jazz.

Die Stadt Leipzig hat dieses große Erbe angenommen und institutionalisiert. Das Bach-Archiv gehört nicht nur zu den wichtigsten Forschungsstätten seiner Art, sondern zeichnet auch für das jährliche Bachfest verantwortlich, welches die Stadt an zehn Tagen im Juni mit über 100 Veranstaltungen zum Mekka der Musikwelt macht. Natürlich gibt es auch andere Festivals alter Musik, auf denen sich die Elite dieses Genres präsentiert, doch Leipzig kann darüber hinaus mit den historischen Spielstätten der Bach-Ära punkten – und natürlich mit dem Thomanerchor, der wie immer eine zentrale Rolle spielt.

Die Orgel der Nikolaikirche

Der eigentliche Charme des Festivals offenbart sich nicht nur auf den großen (und entsprechend teuren) Konzerten. Ein paar Gehminuten von der Thomaskriche entfernt ist der Marktplatz, wo Nachwuchsensembles und  Jazzgruppen den  Spuren des musikalischen Übervaters folgen, und auch ein Star-Tenor wie Martin Petzold ist sich nicht zu schade, daran mitzuwirken. Hier wird an den beiden Festivalwochenenden – umsonst und draußen- “BACHmosphäre” zelebriert, wie es die Veranstalter nennen. Und auch der Freiluftgottesdienst mit den Thomanern und Solisten wie Susanne Krumbiegel am frühen Sonntag gehört zu den unkopierbaren Alleinstellungsmerkmalen der Leipziger Veranstaltungsreihe.

Ich werde in den kommenden Tagen meine Impressionen hier schildern. Zur Einstimmung vielleicht das hier..

Kartoffelsalat statt Karneval

 Nur Wahnsinnige und Masochisten verbringen ein heißes Pfingstwochenende freiwillig in Berlin. Zumal der örtliche und internationale Feierpöbel seine pfingstliche  Terrorherrschaft über Kreuzberg (“Karneval der Kulturen”) errichtet hat. Wünsche jedenfalls fröhlichen Hitzschlag.

 Ich bin natürlich in Wandlitz, lasse die Seele baumeln und die Woche Revue passieren. Die EZB flutet die Märkte weiterhin mit Geld, die Zinsen gehen Richtung Null. Banken freuen sich, Kleinsparer gucken in Röhre, ihr Geld wird auf diese Weise entwertet. Dafür schießen Aktienindex und Immobilienpreise durch die Decke. Der Kapitalismus hat halt viele Facetten.

  Ferner hat eine Abgeordnete der LINKEN,Sevim Dagdelen, im Bundestag die Haltung der Grünen zu faschistischen Tendenzen in der Ukraine unter Verwendung eines Bertold Brecht-Zitats als Verbrechen bezeichnet. Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen. Doch den Ober-Schleimbeuteln in der LINKEN-Chefetage fällt nichts besseres ein, als sich postwendend von ihrer Kollegin zu distanzieren. Schließlich will man ja möglichst bald mit den grünen und der SPD regieren. Widerlich!

 Genuss ist Notwehr und daher ist es höchste Zeit, ein paar Fische zu besorgen, ein paar Flaschen Wein kalt zu stellen und einen anständigen Kartoffelsalat zu machen. Weiterlesen

Champagner und Mindestlohn: Passt das zusammen?

 Die Zwitterexistenz als Politik- und Weinjournalist treibt manchmal seltsame Blüten. Da gibt es Tage, an denen man sich zunächst mit dem gesetzlichen Mindestlohn und seinen vielen Schlupflöchern beschäftigt, um anschließend eine Champagnerverkostung im Nobelrestaurant VAU am Berliner Gendarmenmarkt zu besuchen.

Champagner kann geil schmecken

Das mit dem Mindestlohn ist eine Riesenschweinerei. Langzeiterwerbslose dürfen auch künftig für Hungerlöhne schuften, ganze Branchen, wie z.B. die fleischverarbeitende Industrie und das Friseurhandwerk sind bis 2017 ausgenommen, für Erntehelfer und Zeitungsboten droht ähnliches. Und eine Umsetzung des Mindestlohns bei den über 7 Millionen Minijobbern ist kaum möglich.

Im VAU sitzen in der Regel diejenigen, die für solche Sauereien verantwortlich sind oder sie zumindest richtig finden. Ohnehin fand die Verkostung auch nicht im Saal des Sterne-Tempels, sondern im ehemaligen Kohlenkeller des Gebäudes statt. Doch was Alice Paillard dort aus dem Angebot ihres Vater Bruno Paillard  präsentierte, war alles andere als unterirdisch. Die acht Jahrgangschampagner und Cuvées zeigen die Handschrift eines sehr eigenwilligen Winzers, dem Mainstream – Schaumweine offenbar ein Gräuel sind. Die Weine lagern nach der ersten und zweiten Gärung sehr lange auf der Hefe und bekommen kaum Zuckerdosage – sind also konsequent trocken, haben einen gewissen Schmelz und sind eine echte Hruasforderung für die Geschmacksknospen Wunderbar werden in den Cuvées die Facetten der verschiedenen Chardonnay- und Pinot-noir-Lagen herausgearbeitet, mal in Richtung Zitrusfrüchte, mal eher waldbeerig und manchmal auch steinig – rauchig. Nach den gefälligen „champagner-typischen“ Brioche- und Trockenfrucht-Aromen wird man vergeblich suchen. Weiterlesen

Der ganz normale Wahnsinn

 Eigentlich war es eine ganz normale Arbeitswoche. Glücklicherweise musste ich mich – obwohl Politikjournalist – nicht mit dem Europawahl-Gedöns herumplagen – das überlasse ich gerne anderen.

 Aber “normal” bedeutet in der Regel normaler Wahnsinn, der leider in dem ganzen Juncker-Schulz-Blabla weitgehend unterging. Geschrieben habe ich in dieser Woche (für das Neue Deutschland und die taz) über die Pharma-Industrie, die die Krankenkassen und somit die Versicherten Jahr für Jahr in Milliardenhöhe mit unsinnigen oder gar gefährlichen Medikamenten abzockt. Da hätten wir dann noch die mittlerweile 3000 Ausgabestellen der deutschen Tafeln, die 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln versorgen. Darunter immer mehr Rentner, alleinerziehende Mütter, Flüchtlinge und neuerdings auch Studenten, denen der “Sozialstaat” ein menschenwürdiges Auskommen verweigert.

 Und schließlich ist da noch der gesetzliche Mindestlohn, der aufgrund diverser Ausnahmeregelungen und Schlupflöcher seinen Namen kaum mehr verdienen wird. Weiterlesen