Kaiser’s Tengelmann wird zerschlagen oder: Wollt Ihr den totalen EDEKA?

Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, beginnt jetzt der große Ausverkauf. Die 471 Filialen der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann (KT) werden meistbietend verhökert, einzeln, oder im Paket. Der Start erfolgt in Nordrhein-Westfalen, Berlin und der Großraum München werden folgen. Die Tengelmann-Gruppe vollendet damit ihren Ausstieg aus dem Lebensmitteleinzelhandel, da es über einen längeren Zeitraum nicht nicht gelingen ist, die stark defizitäre Konzernsparte in einem sich rasant oligopolisierenden Markt erfolgversprechend zu positionieren.

Befürchtet wird nun der Verlust von 8000 der insgesamt 16.000 Arbeitsplätzen bei der Lebensmittelkette. Die hätten gerettet werden können, wenn die Übernahme von KT durch die EDEKA-Gruppe wie geplant über die Bühne hätte gehen können, wird verbreitet. Schuld am Scheitern des Deals sei vor allem das Management des Konkurrenten REWE, der das Geschäft mit Erfolg gerichtlich angefochten und später eine außergerichtliche Eingung blockiert habe, heißt es weiter.

Aber stimmt das alles so überhaupt? Wären die KT-Märkte durch eine Übernahme zu retten gewesen? Hätte das dauerhaft Arbeitsplätze gesichert? Ist EDEKA in diesem Spiel der Gute und Rewe der Böse? War es lobenswert, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel das vom Bundeskartellamt verfügte Verbot einer Komplettübernahme durch EDEKA mit einer „Ministererlaubnis“ aushebelte?

Nein, nein und nochmals nein lautet die klare Antwort. Und wenn man mal für ein paar Minuten die rosarot beschlagene Gewerkschaftsbrille abnimmt, kommt man auch selber drauf. Dazu ein paar Fakten

1.)Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel ist zum Einen von regionalen Überkapazitäten und zum anderen von einem rapiden Konzentrationsprozess geprägt. Die vier größten Anbieter Edeka (incl. Netto), Rewe (incl. Penny,) Aldi sowie die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) haben zusammen einen Marktanteil von 85 Prozent, EDEKA als Marktführer hat alleine alleine fast 30 Prozent , in einigen Regionen sogar deutlich mehr. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung des Bundeskartellamtes, die Komplettübernahme der KT-Märkte durch EDEKA zu untersagen, vollkommen richtig und auch vorhersehbar. Bereits beim Verkauf der PLUS-Discounter (die ebenfalls zur Tengelmann-Gruppe gehörten) hatte das Kartellamt eine Komplettübernahme durch die EDEKA-Tochter Netto aus wettbewerblichen Gründen verhindert.

2.) Die dem entgegenstehende Ministererlaubnis durch Gabriel war rechtsmissbräuchlich, da im entsprechenden Gesetz eindeutig festgelegt ist, dass für eine deartige Erlaubnis ,gesamtwirtschaftliche Vorteile des Zusammenschlusses die Wettbewerbsbeschränkung aufwiegen“ oder „ein überragendes Interesse der Allgemeinheit den Zusammenschluss rechtfertigt“. Beides ist nicht der Fall, wie auch das Oberlandesgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung im Juli eindeutig und schlüssig formulierte.

3.) In den Übernahmeverhandlungen, an denen auch die Gewerkschaften ver.di und NGG beteiligt waren, sicherte EDEKA zwar für fünf Jahre den Erhalt der Arbeitsplätze samt Tarifbindung für die Beschäftigten der KT -Gruppe zu. Doch dieser Schutz hätte sich nicht auf die Arbeitsplätze der originären EDEKA-Beschäftigten erstreckt. Vielmehr ging es für EDEKA um Marktbereinigung und den Ausbau der marktbeherrschenden Stellung. Es widerspricht jeglicher Logik, dass der Konzern nach der Übernahme unrentable Filialen aufrecht erhalten würde, vor allem wenn die Marktabdeckung in der jeweiligen Region Region ohnehin nahe der Sättigungsgrenze liegt oder Doppelstandorte von EDEKA und früheren KT-Märkten entstanden wären (wie es beispielsweise in etlichen großen Einkaufszentren der Fall ist). EDEKA-Beschäftigte hätten dann die Zeche für die temporäre Beschäftigungsgarantie der KT-Belegschaft zahlen müssen.

4.) Die Marktmacht von EDEKA hat bereits jetzt ein Ausmaß erreicht, das dem Konzern ermöglicht, Lieferkonditionen zu diktieren und den ruinösen Preiskampf zwischen den Anbietern weiter zu forcieren. Produzenten geraten infolge der Größenordnungen bei den Bestellungen in starke Abhängigkeit von dem Konzern, da sie den Ausfall dieser Aufträge nicht mehr kompensieren könnten. Da der Konzern die gesamte LEH-Palette vom Discounter bis hin zum gehobenen Frische- und Bedientheken-Segment anbietet, sind davon unzählige Lebensmittelproduzenten nicht nur in Deutschland betroffen. Kein vernünftiger Mensch kann einen Ausbau dieser Marktmacht befürworten, zumal sich der „Erhalt von tausenden Arbeitsplätzen“ sehr schnell als Fiktion entpuppen würde.

Vor diesem Hintergrund kann es nur noch um Schadensbegrenzung geben. Ein Erhalt aller KT-Standorte als LEH-Filialen (von wem auch immer) ist illusorisch. Viele (besonders in Nordrhein-Westfalen) sind viele zu klein für einen Filialbetrieb oder befinden sich an ungünstigen Standorten.

Für die Beschäftigten und ihre Vertreter geht es jetzt um mögliche Übernahmen durch einzelne Erwerber bzw. um Sozialpläne und Förderprogramme zur schnellen Vermittlung in neue Jobs. Alles andere ist Unfug. Ferner eröffnet der Verkauf der KT-Fillialen – wenn auch in bescheidenem Umfang – an einigen Standorten Chancen auf eine Diversifizierung des LEH-Angebots, da auch Anbieter wie Denn’s Biomarkt und die Schweizer Kette Migros einsteigen wollen – und dann auch Arbeitskräfte bräuchten.. Wer die Distribution von Lebensmitteln und die damit zusammenhängenden Arbeitsplätze den Gesetzen des Marktes entziehen will, muss sich jedenfalls schon die Mühe machen, für ein andere Gesellschaftsordnung zu kämpfen, statt einem Monopolunternehmen zu noch mehr Marktmacht zu verhelfen.

 

Bob Dylan: Ein Titan unter Kleingeistern

Nein, ich schreibe jetzt keine Würdigung des frisch gekürten Nobelpreisträgers Bob Dylan. Das haben andere, die sich zumeist intensiver mit seinem Leben und Werk beschäftigt haben, bereits getan. Ich schwelge auch nicht in Nostalgie und Reminiszenzen an die eigene Jugend. Zumal der erste Song, den ich in die Gitarre hackte, auch nicht „Blowin’ in the Wind“ sondern „La poupée qui fait non“ von Michel Polnareff war .

Außerdem bin ich wütend. Auf diese ganzen bildungsbürgerlichen, beschränkten Schmocks, die jetzt rumtröten, dass die Ehrung für Dylan sozusagen eine Verhöhnung der Literatur sei . ARD-Moderator und Literaturkritiker Denis Scheck sprach von einem „Witz“, die abgehalfterte Literatur-Exekutorin Sigrid Löffler attestierte mit der Festsstellung, dass Dylans Texte „keine eigenständige Lyrik“ seien. Auf die ganz große Pauke schlug der britische Schriftsteller Irvine Welsh („Trainspotting“), der über „einen schlecht durchdachter Nostalgie-Preis, herausgerissen aus den ranzigen Prostatas seniler, sabbernder Hippies” greinte, während der rumänische Literat Mircea Cartarescu ( der sich selber Chancen auf den Preis ausgerechnet hatte) erklärte, es täte ihm Leid „um die wahren Schriftsteller (..) die den Preis beinahe in der Tasche hatten.” Und der schwedische Verleger Svante Weyler findet es „ein bisschen merkwürdig, die Definition (von Literatur) so weit auszudehnen.» Ich habe nur eine klitzekleine Frage an diese und viele andere Idioten: Was ist bitte Literatur und woran bemisst sich ihre Preiswürdigkeit?

Die, die es nicht schaffen in der Presse zitiert zu werden, nerven mit hämischen Kommentaren bei facebook rum. Darunter auch die üblichen linksradikalen Langweiler, die sich, wenn’s drauf ankommt, in ihrem bildungsbürgerlichen Dünkel von niemandem übertreffen lassen wollen.

Wisst Ihr was: IHR KOTZT MICH AN! Ich hol jetzt ein paar der besseren Dylan-Platten aus dem Regal, öffne eine Flasche sortenreinen, trockenen Muscat aus Spanien, dreh mit vielleicht noch eine klitzekleine Tüte und freue mich über den Preis für einen der wichtigsten Lyriker der 2.Hälfte des 20. Jahrhunderts. Möge seine „Never ending Tour“ noch lange weiter gehen.

Gibt’s was zu feiern?

Dresden ist wirklich eine ausgezeichnete Wahl für die Feierlichkeiten zur „Deutschen Einheit“ . Denn in der sächsischen Möchtegern-Metropole weiß man, wie man es nicht nur auf Parties ordentlich krachen lässt. Mal hier ein bisschen Sprengstoff auf eine Moschee , mal da ein paar abgefackelte Polizeiautos. Auch für seine Gastfreundschaft und Weltoffenheit ist Dresden längst überrregional bekannt. Es sei denn, man hat dunkle Haut, fremdartige Gewichtsformen, ist Moslem oder Linker, dann verteidigt der Dresdner ganz entschieden die deutsche Leitkultur. Natürlich nicht jeder, aber diejenigen, die weder Nazis, noch Rassisten oder auch einfach nur strunzdämlich sind, ducken sich anscheinend überwiegend weg.

Und jetzt nicht mehr, oder wie?

In Sachsen dürfen örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete ungestraft von drohender „Umvolkung“ reden. Dort (aber auch in Mecklenburg-Vorpommern) gilt es als demokratischer Fortschritt, wenn die NPD-Fraktion im Landtag durch eine drei Mal so starke Rassistenpartei namens AfD ersetzt wird.

Jedes Land hat das Pack, was es verdient. Ein unermesslich reicher Staat, dessen herrschende politische Elite massenhafte Kinder- und perspekjtivisch auch Altersarmut, immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse und die soziale und soziokulturellen Ausgrenzung von Millionen von Menschen kaltlächelnd in Kauf nimmt, braucht sich nicht wundern, dass einige von denen auf ziemlich dumme Gedanken kommen. Von denen haben sich viele vom zivilisatorischen Grundkonsens einer demokratischen Gesellschaft verabschiedet, doch das gilt auf der anderen Seite eben auch für große Teile der Eliten.Mit dem Pöbel will der nichts zu tun, und das gilt auch für viele Linke und vor allem für den grün ängehauchten „alternativen Mittelstand“. Der übt sich in postmaterieller Selbszoptimierung und reitet eine Lifestyle-Sau nach der anderen durch’s Dorf. Es ist genau dieses Pack, dass gerne von „Toleranz“ und „Weltoffenheit“ schwafelt, aber beinhart seine Privilegien verteidigt

Beste Voraussetzungen also für eine gelungene Einheitsfeier in Dresden und anderswo.Doch iwenigstens ich habe durchaus einen Grund, am 3.Oktober zu feiern. Ich bin schließlich ein „Wendegewinner“, denn ohne den Beitritt der DDR zur BRD – andere sagen Annektion – hätte ich ummauerter Westberliner mir wohl kaum einen Landsitz in Wandlitz nebst Gemüsebeet einrichten können. Und das ich im zarten Alter von 34 Jahren erstmals das Umland meiner Heimatstadt erkunden konnte, war auch ein Gewinn. Vielleicht bin ich so allmählich ja auch ein Arschloch.

 

Fisch in Moabit – schmeckt wie Portugal

Schön ist es hier nicht. Zwischen einem hässlichen Einkaufzentrum und einer sehr stark befahrenen Straße steht am Anfang der Putlitzstraße in Berlin-Moabit wie hingeworfen ein quadratischer Flachbau. Früher wurden hier mal Werkzeuge und KfZ-Zubehör verkauft, doch jetzt gibt es dort zwar nicht alles, aber vieles, was Mittelmeer und Atlantik so zu bieten haben und noch einiges mehr „Delphin Fisch&Steak“ nennt sich das neue Restaurant. Das klingt im besten Sinne puristisch – und so ist es auch. Im Mittelpunkt der Karte stehen gegrillte und gebratene Fische, dazu gibt es Salat und Brot, und wer mag kann auch eine weitere Beilage ordern, z.B. Reis, Rosmarinkartoffeln, Pommes oder Pfannengemüsse.

Die Fischauswahl ist groß: Dorade, Sardellen, Sardinen, Wolfsbarsch, Merlan, um nur einiges zu nennen. Natürlich auch Großgarnelen in diversen Varianten. Und wem die umfangreiche Karte nicht ausreicht, der kann einen Blick auf die Frischfischvitrine werfen, wo die Tagesangebote der Bestellung und Zubereitung harren.

Als langjähriger Portugal-Fan hatte ich es natürlich auf die gegrillten Sardinen abgesehen, die man dort ähnlich puristisch an jeder Ecke für wenig Geld bekommt. Und siehe da: Nicht nur die Zubereitung, sondern auch die Portion (vier große Sardinen nebst angenehmerweise knackigem Salat ohne Dressing-Firlefanz) und der Preis (8,90 Euro) waren ziemlich „portugiesisch“ . Nur die Rosmarin-Kartoffeln hätte ich mir sparen können. Sie schmeckten weder nach Rosmarin noch nach irgend etwas anderem, sondern entpuppten sich als neutrale Langweiler, aber was solls.

Nein, das ist nicht in Lissabon, sondern mitten in Moabit.

Natürlich gehört zu gegrillten Sardinen ein passendes Glas Wein. Die Karte macht da wenig Hoffung. Sie offerierte – im besten alten DDR-Stil – „Rotwein trocken/lieblich“ bzw „Weißwein trocken/lieblich“ Rosé, was mit Sardinen oftmals sehr gut harmoniert, war gar nicht im Angebot. Ich bestellte todesmutig den trockenen Weißwein – und kam aus dem Staunen kaum heraus. Ein schöner, gradlinig-trockener Tropfen, dezent würzig, mit verhaltener Zitrusfrucht und knackiger Säure. Die Nachfrage ergab, dass es sich um einen Sauvignon blanc aus Griechenland handelt. Ich habe in vielen „besseren“ Restaurants schon deutlich schlechtere Hausweine getrunken. Und vor allem deutlich teurere, denn mit 3,80 für ein Glas (0,2l) war der Wein auch ausgesprochen fair bepreist.

Die Frischtheke habe ich mir leider erst nach dem Essen angeschaut, andernfalls hätte ich mir als Vorspeise bestimmt ein paar Austern gegönnt. Aber ich komme bestimmt wieder. Denn dass dieser neue Stern der einfachen, gradlinigen und auch noch preiswerten mediterranen Fischküche ausgerechnet in Berlin-Moabit aufgegangen ist, erhöht für mich die Lebensqualität in diesem Kiez ganz erheblich. Man kann schließlich nicht ständig nach Portugal fahren.

 

Delphin Fisch&Steak

Putlitzstraße 1 (U-Bahn-Birkenstraße)

leider noch keine Website.

Brot und Spiele

Manchen Menschen möchte man einfach nur eine reinhauen. Wie z.B. dem Reporter des rbb, der das „besondere Flait“ des Berlin-Marathons besonders anschaulich schilderte. In der Nähe des Startsplatzes liege dick in seinen Schlafsack eingemummelt ein Obdachloser auf einer Parkbark und lasse sich „von dem Getümmel überhaupt nicht stören“, so der begeisterte Blödmann.

Mittlerweile ist das Mega-Event vorbei. Sonnabend und Sonntag wälzten sich zehntausende Läufer, Skater und Rollifahrer durch die Stadt, beklatscht und angefeuert von mehreren hunderttausend Menschen.. Die Sieger erhielten fette Preise, die Mitläufer einen anständigen Adrenalinkick und ein paar Loser landeten beim Notarzt oder gar in der Kiste.

Was Brot und Spiele betrifft, ist Berlin fast schon so „altrömisch-dekadent“ wie es einst der verstorbene Spaßpolitiker Guido Westerwelle in Bezug auf Hartz-IV-Empfänger formulierte. Die Stadt ist Spitze, fast alle Kurven zeigen nach oben: Das Wachstum, die Einwohnerzahl, die Steuereinnahmen, die Zahl der Touristen, die Mieten, die Armut, die Zahl der Schulabbrecher und der Obdachlosen. Einiges bleibt auch weitgehend konstant, wie z.B. die Zahl der Flüchtlinge die ohne Privatsphäre in Turnhallen zusammengepfercht werden, weil die Stadt mit den Übergangslösungen (Wohncontainer, Leichtbauhäuser) einfach nicht aus dem Knick kommt. Ob die was von „der Partystimmung in der ganzen Stadt“ (O-Ton rbb) mitbekommen haben. Egal , bald haben wir eine neue Landesregierung und die aus SPD, Linken und Grünen wird schon dafür , dass die Show weiter geht. Heute Marathon, nächste Woche Einheitsfeiern und immer so weiter.

Ich hab am Sonntag meinen eigenen Marathon veranstaltet, mit dem Fahrrad von Wandlitz aus durch Wald und Feld über Mühlenbeck und Pankow nach Kreuzberg, genauer gesagt zum Südstern. Wobei die letzte Etappe eher ein Spießrutenfahren war und das nicht nur wegen der vielen Absperrungen. Es wäre eine große Aufgabe für den neuen Senat, Zusammenrottungen von Trommlern auf Bürgersteigen zu unterbinden. Und auch für eine kleine Verschärfung des Ausländerrechts wäre es höchste Zeit. Zuwanderern sollte strikt verboten werden, in der Öffentlichkeit Panflöte zu spielen.

Rock’n Roll am Südstern

Am Südstern angekommen schließlich der erhoffte Lichtblick dieses unwürdigen Tages. Dort steht beim Marathon stets die Coverband „Blackmail“, die Läufern und Zuschauern zuverlässig gute Laune vermittelt, vor allem mit 60er-Jahre-Soul und R&B im Blues-Brothers-Style. See you next year.

Kein Grund zur Aufregung

Angesichts des beeindruckenden Unfugs, der jetzt über das Ergebnis der Berliner Wahlen verbreitet wird, ist es Zeit für die ultimative Analyse. Und sowas bleibt dann immer an mir hängen. Dazu einige Thesen:

1.) Sieger der Wahlen zum Abgeordnetenhaus ist die Berliner Sozialdemokratie mit rund 37 Prozent. Dass es dabei zu internen Verschiebungen zwischen SPD und LINKEN kam ist zweitrangig und höchstens mental und in Bezug auf die Postenverteilung von Interesse.

2.) Auch das konservativ-wirtschaftsliberale Lager hat nicht wirklich verloren und kam auf rund 24 Prozent. Der FDP ist gelungen mit ihrem bescheuerten „Tegel muss offenbleiben“- Wahlkampf der CDU einiges abzunehmen. In der abgeschmierten CDU wird jetzt allerdings ein fröhliches Hauen und Stechen losgehen, da Henkels Anbiederungskurs an die AfD-Klientel grandios gescheitert ist. Und dass dieser eklige Schmierlappen und Möchtegern-Rambo (Rigaer Straße!!) jetzt in der Versenkung verschwindet, ist ein Wert an sich.

3.) Die Grünen haben im Vergleich zur letzten Wahl Stimmen verloren, ihre Position als Interessenvertreter des „alternativen“ Bürgertums aber weitgehend behaupten können. Das zeigt auch ein Blick auf die Wahlkreise, wo sie besonders stark sind, nämlich in jenen innerstädtischen Quartieren, wo die Gentrifizierung bereits deutliche „Erfolge“ bei der Vertreibung der Alt-Anwohner gezeitigt hat.

4.) Der Erfolg der AfD war erwartbar und bemisst sich prozentual eher am unteren Rand des Potenzials. Auch hier ist keine Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zu erkennen, da die von ihr repräsentierte Strömung einer dumpfen Ausländerfeindlichkeit nebst allgemeiner dumpfer Antimoderne zuvor im Umfeld anderer Parteien (besonders CDU und LINKE) sowie unter den Nichtwählern in der jetzt im Wahlergebnis sichtbaren Größenordnung manifest war.

5.) Die LINKE konnte ihre Verluste in diese Richtung mehr als kompensieren. Vor allem im Westen bediente sie sich erfolgreich aus der Konkursmasse der Piraten, die bei der letzten Wahl 9,8 Prozent erhalten hatten (im Westen sogar deutlich mehr). Ferner profitierte sie von der Amnesie vieler Wähler, die offenbar verdrängt haben, für welche Schweinereien diese Partei in „rot-roten“ Regierungszeiten mitverantwortlich war.

Neue Politiker braucht das Land.
Quelle: Die PARTEI Pankow

6.) Bereits Wochen vor der Wahl stand faktisch fest, dass es zu einer „rot-rot-grünen“ Koalition kommen wird. Längst kursieren Eckpunkte für einen Koalitionsvertrag und Postenlisten. Das Gedöns von SPD-Müller, dass man zunächst alle denkbaren Möglichkeiten , also auch „rot-schwarz-grün“ und „rot-schwarz-gelb“ (FDP) sondieren wolle, gehört in die Kategorie lächerliche, abtoßende Politikrituale.

7.) Interessante Verschiebungen gibt es allerdings in den Bezirksverordnetenversammlungen, in denen keine Koalitionen, sondern lediglich „Zählgemeinschaften“ möglich sind, die vor allem der Wahl des jeweiligen Bürgermeisters dienen. Die Bezirksämter selbst werden streng nach Ergebnisproporz besetzt. Die AfD wird nicht nur im tiefen Osten mehrere Stadtratsposten erhalten, sondern auch in Neukölln, Reinickendorf und Spandau. Die Wahlergebnisse haben dazu geführt, dass die meisten der bisherigen Zählgemeinschaften keine Mehrheiten mehr haben. Davon werden im Westen die Grünen und im Osten die LINKE profitieren, die zusammen 6-7 der 12 Bezirksbürgermeister stellen könnten, die CDU – wenn überhaupt- dagegen maximal 2. Zumindest in der Wohnungspolitik könnte das für einige positive Impulse sorgen (besonders mögliche Ausweitung und Ausgestaltung des Milieuschutzes.)

8.) Die neue Landesregierung wird sich relativ schnell auf einige Eckpunkte verständigen, besonders in den Bereichen Wohnungs-, Bildungs-, Verkehrs- und Integrationspolitik und für die Reorganisation der maroden Verwaltung. Es gibt wenig Grund zur Hoffnung, dass dies tatsächlich zu einem „Politikwechsel“ im Sinne einer sozialen Ausrichtung der Politik führen wird., zumal es keine starke außerparlamentarische Oppositionsbewegung dafür gibt. In ein paar Monaten wird man dazu mehr sagen können.

9.) Die viele beschworene „Signalwirkung“ von „rot-rot-grün“ für die Bundesebene dürfte sich in Grenzen halten. Zum einen ist eine Mehrheit für diese Konstellation bei den kommenden Bundestagswahlen ziemlich unwahrscheinlich. Für die LINKE wäre dieses Bündnis zudem damit verbunden, NATO-Kriegseinsätze , Waffenexporte, die aggressive Politik des deutschen Kapitals gegenüber anderen EU-Staaten, die „Partnerschaft“ mit der Türkei und anderen Terror-Regimes, die Hartz-IV-Gesetze u.v.a.m. weitgehend vorbehaltlos zu akzeptieren. Es gibt in der LINKEN starke Kräfte, die das auch wollen, um endlich mitregieren zu können. Was das bedeuten würde, sprengt meine Fantasie. Auf alle Fälle wäre es ein Desaster.

10.) Schluss jetzt! Denn ein Ergebnis der Berliner Wahlen ist nun wirklich ein Grund zum Feiern. Knapp 32.000 kluge Menschen haben die PARTEI gewählt, die damit ihr berlinweites Ergebnis auf zwei Prozent fast verdoppeln konnte. Hurra! In Kreuzberg-Friedrichshain zieht die PARTEI mit 4,6 Prozent sogar erstmals in eine Bezirksvertretung ein, gleich mit zwei Abgeordneten. Hurra, Hurra!

Berlin wählt – das kann nicht gut gehen

Bald ist es vorbei, Die Sackgesichter, die einem aus tausenden Plakaten angrinsen, werden samt ihrer dümmlichen Rarolen dorthin verschwinden, wo sie hingehören – in die Papiertonne.Einkaufen im Kiez ist dann auch kein Spießrutenlaufen zwischen eifrigen Zettelverteilern mehr. Schon heute war es deutlich ruhiger. Nur ein Gestörter belärmte meine ansonsten sehr ruhige Nebenstraße mit irgendwas mit „Berlin für Alle“. Für Alle? Nein, nicht für Alle, FÜR SPACKOS WIE DICH AUF KEINEN FALL!!!!!

Am Morgen durfte ich live im Inforadio des rbb als „besorgter Anwohner“ mit einem AfD-Kandidaten über Vertreibung aus dem Kiez durch explodierende Mieten und Möglichkeiten der Wohnungspolitik diskutieren. Die AfD hat eine verblüffend einfache Lösung. Wer Mietsteigerungen vermeiden will, sollte seine oder eine andere Wohnung einfach kaufen. Und das erzählt der tatsächlich live mitten in einem Stadtteil, in dem überdurchschnittlich viele Hartz IV-Empfänger, Geringverdiener und Grundsicherungsrentner leben. Strunzdumm erschien er mir nicht, eher zynisch und asozial. So ähnlich habe ich das dann auch im Radio gesagt.

Manchmal mische ich mich auch ein. Lautes Schimpfen über die herrschende Wohnungspolitik live im Inforadio
C:Inforadio/Dieter Freiberg

Am Nachmittag produziert der Wahlkampf seine letzten postmortalen Ejakulationen. Die großen Parteien machen noch mal einen auf Großveranstaltung. Die SPD tritt mit ihren rhetorisch begnadeten Entertainern Müller und Steinmeier auf dem Winterfeldplatz an, es soll Gratis-Speed geben. Die Grünen radeln von einem Luxuswohnprojekt ihrer Kernklientel am Gleisdreieck zur Frankfurter Allee. Dort redet auch ihre Spitzenkandidatin Ramona Pop, und wer immer noch nach einen Grund sucht, die Grünen auf keinen Fall zu wählen, sollte sich eine Minute Ramona Pop anhören. Die LINKE ruft natürlich in den Osten, zum Alexanderplatz. Highlight soll die Rede eines jener tragischen älteren Männer sein, die ihren Verfallsprozess aufgrund übersteigerter Eitelkeit nicht in Würde gestalten können. Gregor Gysi hat nämlich beschlossen, vor dem letzten Gang nochmal schnell die Welt, bzw. Deutschland zu retten, indem er erneut für den Bundestag kandidiert und dann „rot-rot-grün“ in die Wege leitet. Was natürlich entweder nichts oder eine Katastrophe wird.

Die CDU hat ihr Berliner Wahlkämpfchen schon Mittwoch beendet. Angela Merkel ließ sich ordnungsgemäß von einer Horde AfD-Anhänger und Neonazis auspfeifen, und Spitzenkandidat Frank Henkel machte einen auf Durchhalteparolen, obwohl die Klatsche für die CDU so sicher ist, wie die nächste deutsche Meisterschaft von Bayern München. An selbigem Mittwoch hat das Landgericht dem scheidenden Innensenator noch ein schönes Abschiedsgeschenk überreicht. Es entschied bereits in 2. Instanz, dass der von ihm zu verantwortenden martialische Polizeieinsatz gegen ein linkes Hausprojekt komplett rechtswidrig war.

Wie bereits angedeutet: Der Wahlkampf war langweilig, weil das Ergebnis in groben Zügen schon seit Wochen faktisch feststeht. Es wird eine Koalition aus SPD,Grünen und LINKEN geben müssen, da es keine andere umsetzbare Regierungsmehrheit geben wird. In den Hinterzimmern wird schon längst am Koalitionsvertrag und an der Senatorenliste gebastelt, was eigentlich auch jeder weiß.

Zeit für eine kleine Prognose: Die SPD gewinnt mit 20-21,5 %. CDU und Grüne kämpfen um die Plätze 2 und 3, beide im Bereich zwischen 17-19 Prozent. Auch die Plätze 4 und 5 sind noch umkämpft, LINKE und die AfD werden zwischen 14 und 16 Prozent erhalten. Die FDP könnte es dank ihres redundanten Ein-Punkt-Wahlkampfs für die dauerhafte Offenhaltung des Flughafens Tegel mit 5 Prozent wieder in das Abgeordnetenhaus schaffen – ein beredtes Zeugnis der Blödheit vieler Berliner Wähler. Und was ist mit den Piraten? Die hatten bei der letzten Wahl immerhin 9,8 Prozent. Doch die haben sich längst komplett zerschossen und rangieren irgendwo unter „Sonstige“ mit vielleicht 2 Prozent.

Ich habe bereits vor ein paar Wochen gewählt. Natürlich die einzige Partei, die angesichts dieser wirren Spaßvögel, Trolle und Schwachmaten überhaupt wählbar ist, nämlich Die PARTEI. Aber ich fürchte, für deren überzeugendes, ja alternativloses Politikangebot („Inhalte überwinden“) sind die meisten Berliner noch nicht reif.

Bevor noch ein weiterer Trottel blökend durch Moabit zieht oder irgendwelche Zombies mich noch in letzter Sekunde auf der Straße überzeugen wollen, habe ich das Weite gesucht. Wandlitz ist derzeit wahlkampffreie Zone. Ich muss mich lediglich noch entscheiden, ob ich zu den Weinbergschnecken, die ich bald in den Ofen schiebe, den Silvaner von Rainer Sauer oder den Riesling vom Hessischen Staatsweingut öffne. Das ist viel komplizierter als die Berliner WahL

Hören, was Stalin nicht hören wollte

Der Text erschien am Donnerstag im “Neuen Deutschland” und ist online nur für Abonnenten abrufbar. Vielleicht noch eine Vorbemerkung. Es ist mir unbegreiflich, wie ein Künstler, der damit rechnen musste von Stalins Schergen verbannt oder gar umgebracht zu werden, ein derartig kraftvolles Werk schreiben kann. Alleine das macht Dmitri Schostakowitsch zu einem Helden.

Am Dienstag gastierten die Münchner Philharmoniker unter Leitung von Valery Gergiev in der Philharmonie. Im Mittelpunkt stand die Symphonie Nr. 4 c-Moll von Dmitri Schostakowitsch, die kurz vor ihrer geplanten Uraufführung in Leningrad im Januar 1936 in den Giftschrank der stalinistischen Kulturbürokratie verbannt und erst 1961 in Moskau uraufgeführt wurde. Für den schon zuvor in Ungnade gefallenen Komponisten war das eine Zäsur, denn die Angriffe gegen ihn als »bürgerlichen und volksfernen« Künstler hatten nunmehr ein Ausmaß erreicht, das ihn buchstäblich um Leib und Leben fürchten ließ.

Es ist ein monumentales, stark von der europäischen Moderne und dabei besonders von Gustav Mahler inspiriertes Werk voller Brüche und Paradoxien. Aus den teilweise an Märsche angelehnten Themen entwickeln sich irrwitzige, teilweise groteske Klangkaskaden, die sich immer wieder in ruhige, aber oftmals schmerzvolle Bilder auflösen. Binnen weniger Takte können sich Jahrmarktsmusiken zu apokalyptisch anmutenden Clustern auftürmen, die schließlich voller Sarkasmus in idyllische Vogelstimmen münden. Der deutsche Komponist Alfred Schnittke sieht diese Symphonie denn auch als das »Lebensdrama« Schostakowitschs, der hier seine Horrorvision eines Marsches zur Hinrichtung auskomponiert habe.

Valery Gergiev – ein ausgewiesener Schostakowitsch-Kenner – versteht es meisterhaft, dieses Werk in all seinen Farben und Facetten aufzuschließen. Das Orchester folgt ihm mit beeindruckender Präzision und schöpft die riesige dynamische Bandbreite zwischen fast verloren klingendem pianissimo und berstendem forte fortissimo bis zu den physikalischen Grenzen aus. Ein Klangerlebnis, das auch der legendär guten Akustik der Berliner Philharmonie geschuldet ist. Ohne Abstriche eine ganz große Aufführung eines epochalen Werkes und vom Publikum mit entsprechenden Ovationen gefeiert.

Würden sie diesem Mann ein Orchester anvertrauen? Sie sollten es tun.Valery Gergiev am Dienstag in der Philharmonie.c: Kai Bienert 

Es war ein Abend der Kontraste, denn zuvor wurde die nur 15-minütige 3. Symphonie von Galina Ustwolskaja aufgeführt, einer Schülerin Schostakowitschs, die in Deutschland wenig bekannt ist. Die öffentlichkeitsscheue Künstlerin verbat sich zeit ihres Lebens jegliche musiktheoretische Durchdringung und Beurteilung ihrer nur 25 überlieferten Werke, darunter sechs Klaviersonaten und fünf Symphonien, wobei dieser Genrebegriff für das am Dienstag aufgeführte Stück weit hergeholt erscheint. Die dreisätzige Form wird nur angedeutet, die Orchestrierung beschränkt sich auf hohe und tiefe Register, die Mittelstimmen fehlen.Es ist ein verstörendes Werk, nicht von rhythmischen und harmonischen Linien getragen, sondern von der sorgsamen, fast minimalistisch anmutenden Platzierung einzelner Töne, lediglich unterbrochen von einer donnernden Klavierkadenz im Mittelteil. Seine Wirkung entfaltet es vor allem im Kontext mit der Rezitation eines Fürbittverses des Benediktinermönchs Hermann von Reichenau (1013 – 1054). So entsteht das Klangbild einer sehr individuellen spirituellen, christlich inspirierten Suche nach Erlösung, die aber ausbleibt.

Auch hier erwies sich Gergiev, der bereits bei der Uraufführung 1995 in Amsterdam am Pult statt, als intimer Kenner und detailversessener Orchesterleiter. Als dann anschließend voluminöse Klangteppiche die Schostakowitsch-Symphonie einläuteten, verstand man schlagartig die Dramaturgie dieses gelungenen Abends.

Moabit heute: “Haut ab, ihr habt zu wenig Kohle”

„Moabit ist das neue Kreuzberg“ Alleine für dieses Motto möchte man die Werbestrategen der Bio-Lebensmittelkette LPG mit überfermentiertem Tofu und runzliger Demeter-Möhren bewerfen. Was die wahrscheinlich witzig finden, klingt nicht nur für mich wie eine Kampfparole der Gentrifizierer, die ein weiteres urbanes Wohnquartier umfassend in einen hippen, teuren Szenekiez verwandeln wollen.

Das neue Moabit: Weinverkostung in der alten Bolle-Meierei.

In einigen Bereichen kann Moabit allerdings schon jetzt mit dem „Vorbild“ Kreuzberg mithalten. Die prozentualen Mietsteigerungen sind derzeit sogar höher, und die Drogenszene im Kleinen Tiergarten ist dem Görlitzer Park und dem Kottbusser Tor dicht auf den Fersen. Die „Markthalle IX“ in der Kreuzberger Eisenbahnstraße hat hier ebenfalls Konkurrenz bekommen. Die „Arminiushalle“ ist längst eine ähnlich hippe Event- und Gastronomie-Location, die das krude Bedürfnis von Zuzüglern und Touristen nach gehobener Schlemmerei in Altberliner Ambiente im Stil eines Potemkinschen Dorfes befriedigt. „Nachholbedarf“ gibt es allerdings für die Club- und Partyszene, denn noch wirken die meisten Moabiter Straßen nachts im Vergleich zu einigen Kreuzberger Arealen wie Oasen der Ruhe

Moabit wird gentrifiziert, und die Chancen, dies zu verhindern oder auch nur nennenswert zu verlangsamen, stehen ziemlich schlecht. Die nach langem Gezerre erlassene Milieuschutzsatzung für große Teile des Kiezes ist ein ziemlich stumpfes Schwert, das ärmere Anwohner kaum vor der Vertreibung durch Mietsprünge schützen kann. Das nunmehr mögliche Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist da nur ein schwacher Trost. Vor allem, weil der Widerstand der Betroffenen so erschreckend schwach ist und diffuse Wut auf „die da oben“ erfolgreich von der AfD eingesammelt wird – einer Partei die sich nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern in Berlin auch gegen Mindestlöhne und sozialen Wohnungsbau ausspricht.

Für Läden wie die LPG ist Gentrifizierung der Humus, auf dem sie besonders gut gedeihen. Die (noch) überdurchschnittlich vielen armen Menschen in dem Kiez werden sich ein Kilo Demeter-Äpfel für 3,50 und vier Edelbio-Eier für 2,20 kaum leisten können und wollen. Heute bei der Eröffnung der neuen großen LPG-Filiale in den alten Bolle-Höfen zwischen Alt-Moabit und Spreeufer sah man sie noch, denn es gab allerlei kostenlose Proben, von der veganen Bratwurst, über das klimaneutrale Geschirrspülmittel bis zum Brandenburger Öko-Bier. Sie huschten zwischen den betuchteren Ladies mit ihren kleinen Samantha-Madelaines umher und griffen ab, was abzugreifen ist. Auf Dauer stören die Ärmeren aber nur, denn ihre Kaufkraft ist zu gering und zudem blockieren sie die vielen Altbauwohnungen, die man so wunderbar schick umbauen und modernisieren könnte, und so manch türkischer Änderungsschneider sollte doch allmählich Platz für ein Naturkosmetik-Studio oder eine ganzheitliche Lebensberatung machen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe nichts gegen eine Aufwertung dieses Bezirks, der viele Jahrzehnte als weitgehend unbeachtete Westberliner Schmuddelecke vor sich hin rottete. Ich freue mich über die neu gestalteten Grünanlagen, über den sensationellen Flammkuchen in der Markthalle, das deutlich verbesserte Lebensmittelangebot im Kiez und die Möglichkeit, einen richig guten Cappuccino zu trinken. Sogar für eine Flasche brauchbaren Wein muss man jetzt nicht mehr in andere Bezirke fahren. Doch Aufwertung bedeutet in unserer kapitalistischen Gesellschaft in erster Linie Profitmaximierung und bezogen auf die Anwohner Verdrängung an die Peripherie der Stadt. Denn letztendlich wollen die Betuchteren und Gebildeten so weit es geht unter sich sein, sie verachten den „Pöbel“.

Moabit ist noch nicht das „neue Kreuzberg“, könnte es aber werden, dicht gefolgt vom Wedding, der bereits als das nächste bzw. übernächste große Ding gehandelt wird. Es ist zum Kotzen, vor allem, weil man so wehrlos ist.

Die AfD als Projektionsfläche

Auf derartig klare Worte haben viele Linke lange gewartet. Die Wahlen hätten gezeigt “dass man keine Politik machen kann, gegen einen großen Teil der Menschen”. Man werde jetzt „Fundamentalopposition betreiben”, denn in dieser Rolle sei man „viel stärker, als wenn wir Juniorpartner in einer Koalition wären.” Schließlich wolle man letztendlich eine „andere Republik“.

Na endlich, möchte man meinen. Wir brauchen tatsächlich eine politische Kraft, die den neoliberalen Konsens der Austeritätspolitik frontal und ohne faule Kompromisse angreift. Und wir brauchen tatsächlich eine Art anderer Republik, in der die Sozialsysteme, die öffentliche Daseinsvorsorge und somit die gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums wieder in den Mittelpunkt rücken.

Allerdings stammen diese markigen Worte weder von Sarah Wagenknecht noch von Katja Kipping, noch nicht einmal von einem der weitgehend einflusslosen Exponenten des linken Flügels der LINKEN. Sondern von Alexander Gauland dem Vizevorsitzenden der AfD.

Es ist müßig darauf hinzuweisen, dass die AfD so ziemlich für das exakte Gegenteil einer sozial und gesellschaftlich emanzipatorischen Politik steht. Ihrer dürre und an vielen Stellen widersprüchliche Programmatik ist von der schwurbeligen Idee eine nationalen Volksgemeinschaft durchzogen, die es sowohl gegen Zuwanderer als auch gegen soziokulturelle „Entartungen“ zu verteidigen gilt. Die AfD ist weniger eine Programmpartei, als vielmehr eine Projektionsfläche für eine sehr breites Spektrum von Menschen, die sich subjektiv in einem antagonistischen Widerspruch zu den herrschenden Eliten wähnen.Und das sind eben nicht nur plumpe, völkische Rassisten nebst materiell und soziokulturell abgehängten Menschen. Zwar hat die AfD nicht nur in Meck-Pomm überdurchschnittliche Stimmenteile bei Erwerbslosen, niedrig qualifizierten Arbeitern und allgemein Männern mit geringer Schulbildung. Doch auch bei Bürgern mit Hochschul- oder Fachhochschulreife beträgt ihr Anteil 16 Prozent, und das Gros ihrer Wähler verfügt über einen mittleren Schulabschluss, eine qualifizierte Berufsausbildung und ein durchschnittliches bis überdurchschnittliches Einkommen. Es ist im Kern eine Partei des Mittelstands, mit dezidiert sozialdarwinistischen Positionen gegenüber dem viel beschworenen Prekariat, bei dem man aber mit Antielitarismus, Fremdenfeindlichkeit und dumpfer Antimoderne in vielen Fragen der Gesellschaftspolitik punkten kann.

Entsprechend obsolet ist die in linken Kreisen populäre Idee, dass man das Phänomen AfD mit einer durchgreifenden Struktur- und Sozialpolitik weitgehend austrocknen könnte. Einer der wenigen lesenswerten Kommentare nach der Meck-Pomm-Wahl brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Die Anhänger der AfD wollen schlicht nicht, dass Flüchtlinge ins Land kommen. Sie wollen ein Deutschland wie vor 50 Jahren als Männer noch Männer, Frauen noch Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund noch Gastarbeiter waren. AfD-Wähler fühlen sich nicht unbedingt wirtschaftlich abgehängt – sondern kulturell“, schieb Hannah Beitzer am Montag in der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung und weiter: „Es geht in der Auseinandersetzung mit der AfD in erster Linie nicht um einen Klassenkampf sondern um einen Kulturkampf. Und der ist ungleich schwerer zu führen, weil er mit ein bisschen mehr Geld für Bedürftige nicht zu lösen ist. Wer vor vielen Jahren eine der ersten Lesungen eines Thilo Sarrazin besucht hat, auf denen entfesselte Bildungsbürger über Kopftuchmädchen, Hartz-IV-Empfänger und Gender-Gaga schimpften, hat das ahnen können.“

Rührend, aber eben auch das Ziel verfehlend sind Versuche wie die des DGB (unter dessen Mitgliedern sich etliche AfD-Anhänger befinden), ihre Klientel über die antisozialen Positionen der AfD „aufklären“ zu wollen. Denn jenseits kruder, neoliberaler Konzepte zur Arbeitsmarkt-, Renten- oder auch Wohnungspolitik bleiben die Fremdenfeindlichkeit, die soziokulturelle Antimoderne und das (partiell durchaus nachvollziehbare) Gefühl, von den Eliten ausgegrenzt und verachtet zu werden, als Markenkern der AfD. Und genau deswegen wird sie gewählt.

Natürlich gilt es weiterhin, gegen jegliche Form von Rassismus aufzutreten und für einen sozialen Politikwechsel zu kämpfen – auch und aktuell besonders gegen die AfD. Linke sollten jedoch nicht den Fehler machen, die AfD ebenso als Projektionsfläche zu nutzen, wie ihre Anhänger.